Das geheime Lied: Roman (German Edition)
Seemann warf sich auf ihn, schlug ihm mit der Faust des unverletzten Arms ins Gesicht und setzte sich auf seine Brust, so dass er sich nicht mehr rühren konnte. Dann griff er nach dem Dolch, den er im Gürtel trug, und hob ihn hoch über seinen Kopf, die Klinge auf den Gegner gerichtet.
»Das willst du doch, oder?«, rief er mit weit aufgerissenen Augen. »Zur Hölle fahren wie der Riese, mit dem du gekommen bist?«
»Töte ihn nicht«, bat Charpentier. »Wir müssen wissen, für wen er arbeitet.«
»Lass mich los!«, befahl der Meuchelmörder ohne jede Spur von Angst. »Vielleicht kommst du dann mit dem Leben davon.«
Der Matrose verpasste ihm mit dem Griff der Waffe einen Schlag gegen die Schläfe und erhob das Messer dann wieder. Ihm zitterte die Hand, so versessen war er darauf, dem Gegner den Dolch in die Brust rammen.
»Sag mir, wer dich bezahlt, und ich lasse dich gehen!«
Charpentier drehte sich instinktiv zur Anhöhe hin um. Ihm blieb fast das Herz stehen.
»Da kommt der andere!«
Der Mann, den der Alte mit der Sichel verletzt hatte, kam hinkend näher. Er hatte das Bein verbunden, und sein Gesichtsausdruck zeugte von tiefem Hass. In der Hand trug er ein Schwert, dessen Spitze durch den Schlamm schleifte.
»Wie ist das bloß möglich …?«, murmelte der Matrose.
»Du hättest deinen Vater sterben sehen sollen!«, rief der Neuankömmling, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. »Er hat gebettelt wie ein Hund.«
»Bleib stehen, wo du bist, oder ich mache deinem Freund ein Ende!«
»Halt den Mund und lass ihn endlich los!«
»Ich meine es ernst! Bleib stehen!«
Er hatte sie beinahe erreicht. Der Mann am Boden hatte inzwischen aufgehört, sich zur Wehr zu setzen. Charpentier überkam Verzweiflung, denn die Situation war völlig außer Kontrolle geraten. Er suchte nach der Pistole, die halb im Schlamm versunken war. Der Verbrecher bemerkte es und wollte sein Vorhaben verhindern, kam wegen des verletzten Beins aber nicht schnell genug voran. Der Komponist schob sich wie eine Schlange nach vorn und nahm die Pistole an sich. Mit zitternden Fingern richtete er sie auf den Angreifer. Es war das erste Mal, dass er eine Waffe in der Hand hielt. Er spürte das kalte Metall und war drauf und dran, sie wieder fallen zu lassen.
»Weg mit dem Schießeisen!«, befahl ihm der Angreifer und richtete das schlammige Schwert auf ihn.
»Jetzt feuert sie schon ab!« Die Stimme des Seemanns überschlug sich. »Wir haben doch immer noch diesen hier lebendig!«
Charpentier schossen Tausende von Bildern durch den Kopf, die sich mit der Wirklichkeit vermischten. Der Meuchelmörder kam immer näher. Inzwischen war er nur noch ein paar Schritte entfernt. Der Komponist drückte ab. Die Folgen waren jedoch unerwartet. Man hatte die Waffe nicht richtig geladen, und sie explodierte ihm in der Hand. Gelber Rauch stieg auf. Vor Schmerzen brüllend, schlug er sich die Hände vors Gesicht.
Dem Seemann war klar, dass die Situation aussichtslos war, er überlegte es sich nicht zweimal und stieß dem Mann, den er unter sich festhielt, das Messer bis zum Griff in die Brust. Ein Knacken und ein gurgelndes Geräusch waren zu hören. Er versuchte, den Dolch wieder herauszuziehen, um damit auf den anderen Angreifer loszugehen, er schien aber in einem Knochen festzustecken, und außerdem konnte er auch nur mit dem unverletzten Arm daran ziehen. Er hatte kaum Zeit, aufzuschauen und einen Blick auf die heransausende Klinge zu werfen, die ihm die Kehle durchtrennte.
Der Komponist schluchzte noch immer vor sich hin, die Hände vors Gesicht geschlagen. Schließlich nahm er sich zusammen, ließ die Arme sinken und öffnete trotz des Brennens ein wenig die Lider, um zu sehen, was um ihn herum vorging. Das Erste, was er sah, war der Kopf des Matrosen, der ihn vom Boden aus ungläubig anstarrte. Auf das Schwert abgestützt, stand der Meuchelmörder breitbeinig da. Das Blut um die Wunde an seinem Bein wurde immer dunkler, und er sah erschöpft aus.
»Betet«, sagte er mit rauer Stimme, die von beißendem Geruch begleitet wurde.
Charpentier wäre gerne aufgesprungen und auf ihn losgegangen, hätte am liebsten losgeschrien, presste aber lediglich die Zähne aufeinander, bis sie zu brechen drohten. Sein Gegner schien sich an seiner unterwürfigen Haltung zu weiden und sprach weiter, ohne das Schwert zu erheben.
»Glaubt Ihr wirklich, dass ich Euch umbringen werde?«, fragte er.
»Wie …?«
»Tot bringt Ihr mir doch nichts.«
»Also lasst Ihr
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