Das geheime Lied: Roman (German Edition)
diesem riesigen Ozean ganz klein.
Ein letzter Schuss übertönte sein panisches Schreien.
Die Bucht verstummte.
Matthieu konnte nicht fassen, dass er noch am Leben war. Wasser spritzte, als er versuchte, so schnell wie möglich ins Boot zu kriechen, dann ließ er sich rücklings auf die Bänke darin fallen. La Bouche kam näher, um nachzusehen, ob er nach dem letzten Haiangriff noch unversehrt war. Anschließend legte er dem Sklaven das Ohr auf die Brust und fühlte ihm den Puls. Der Mann blutete aus einer Schusswunde an der Seite und hatte viel Wasser geschluckt, aber er atmete.
Die niederländischen Händler, die in der Überzahl waren, hatten ihre Gewehre nun auf La Bouche und seine Männer gerichtet. Diese ließen sich nicht einschüchtern, hoben ebenfalls ihre Waffen und fixierten die Feinde über den Lauf der noch rauchenden Musketen hinweg.
»Ich fordere eine Erklärung!«, rief der holländische Kapitän.
»Gestern Nacht hat jemand versucht, diesen Mann zu töten«, antwortete La Bouche, ohne zu zögern, und wies auf Matthieu.
»Was hat dies mit meinem Sklaven zu tun?«
»Ich brauche ihn, um die Vorgänge zu klären.«
Plötzlich brauste der Wind laut vernehmlich, und die Boote gerieten ins Schwanken. Die Sklaven darin klammerten sich aneinander, ohne zu wissen, was da vor sich ging.
»Sein Leben für ein jämmerliches Stück Fleisch aufs Spiel zu setzen, das man nicht einmal essen kann …«, bemerkte der Holländer und warf Matthieu einen abfälligen Blick zu.
La Bouche ließ diese Bemerkung wortlos an sich abprallen. Er versuchte, in diesem Machtspielchen keine Schwäche zu zeigen.
»Ich werde meine Männer bitten, ihre Waffen herunterzunehmen«, erklärte er.
»Vielleicht nutze ich diesen Moment ja, um Eurem Leben ein Ende zu setzen«, erwiderte der Holländer. »Was wird man denn auf der Insel denken, wenn ich Euch nach einer derartigen Kränkung einfach ziehen lasse?«
»Tut, was Ihr für angemessen haltet.«
La Bouche blieb keine andere Wahl. Er entspannte die Muskeln des Waffenarms und ließ den Lauf langsam in Richtung Wasseroberfläche sinken, ohne den Finger vom Abzug zu nehmen. Mit einer Geste bedeutete er seinen Leibwachen, es ihm gleichzutun, was die Männer nur widerwillig befolgten.
»Holt aus diesem Neger die Informationen heraus, die Ihr braucht, und werft ihn dann lebendig über Bord«, rief der Holländer, der die Sache nicht auf sich beruhen lassen wollte, ohne das letzte Wort zu haben. »Das werdet Ihr doch für mich tun, nicht wahr?«
Er verabschiedete sich mit einer spöttischen Verneigung und wies seine Männer an weiterzurudern. Mit einem Mal versetzte er einem Sklaven, der es gewagt hatte, ihm in die Augen zu sehen, mit der Waffe einen Schlag ins Gesicht. Die anderen Schwarzen duckten sich und schoben den Kopf schützend zwischen die Knie. Keiner von ihnen blickte zurück, um zuzuschauen, wie sie sich immer weiter von ihrer afrikanischen Heimat entfernten.
Matthieu atmete tief durch und drückte dem Griot unwillkürlich die Hand, als könne dieser es spüren. Sie wurden zum Schiff gerudert. Der Bootsmann, der vom Ankerplatz die Szene völlig sprachlos miterlebt hatte, hatte ihnen bereits die Seile zugeworfen. Der Flaschenzug quietschte. Die Matrosen knoteten die Taue fest, um das Boot hochzuhieven, während Matthieu und die Soldaten die Strickleiter hinaufstiegen.
»Lasst den Sklaven versorgen«, ordnete der Kapitän an, als sich alle an Bord befanden. Er wandte sich zu Matthieu um. »Ich hoffe nur, dass sich dieser Aufwand auch gelohnt hat.«
5
N ach den Vorfällen bei Madame Serekunda wurde die Anspannung an Bord noch viel deutlicher. Catroux bestätigte, dass während der Nacht vor Gorée kein Mitglied der Besatzung die Aventure verlassen hatte, daher musste La Bouche sich damit abfinden, dass von den Verantwortlichen noch immer jede Spur fehlte. Er wusste nicht, wie er Matthieu beschützen sollte, daher beschloss er, alle Männer zu einer Versammlung auf Deck zusammenzurufen. Er hörte sich die Beschwerden der Matrosen an, während der Bootsmann einen spöttischen Blick übers Wasser wandern ließ. Letztlich entschied er, die Dinge beim Namen zu nennen.
»Ich weiß, dass dieser Umweg nicht euren ursprünglichen Plänen entspricht«, rief er abschließend aus. »Aber ihr solltet euch glücklich schätzen, dass ihr mir dabei helfen könnt, die Wünsche eures Königs zu erfüllen! Also schreibt euch das ein für alle Mal hinter die Ohren: Meine Soldaten und
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