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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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    »Ich habe dort keine Frau gesehen.«
    »Sie kam aus der Kabine und hielt sich hinter dem Besanmast versteckt, während Ihr mit Misson spracht.«
    »War sie schön?«
    Matthieu antwortete nicht, als würde er sie mit jeglicher Beschreibung entehren. La Bouche verstand sein Schweigen als Bestätigung.
    »Das freut mich für ihn.«
    »Ich muss die ganze Zeit an sie denken …«
    »Du bist auch nur ein Mann, genau wie Misson und ich.«
    »Das ist es nicht.«
    »Was bereitet dir dann Sorgen?«
    »Ich will nicht, dass Ihr mich für verrückt haltet.«
    »Erzähl es mir ruhig, nach dem, was heute alles passiert ist, kann mich wohl nichts mehr überraschen.«
    »Als der Griot an Bord der Victoire kam und zu singen begann«, erklärte Matthieu endlich, »hat diese Frau sich die Ohren zugehalten und ist rasch in die Kabine geflüchtet. Diese Geste …«
    »Sprich weiter«, bat ihn der Kapitän gespannt.
    »Wenn die Aufgabe der Mondesstimme darin besteht, die Melodie ihr Leben lang rein zu halten …«
    »Sprichst du von der Priesterin, die wir suchen sollen?«
    »Ja. Vielleicht erahnte sie die Bedeutsamkeit des Griot-Gesanges und wollte sich von ihm nicht beeinflussen lassen.«
    »Was zum Teufel sollte die Priesterin auf Missons Schiff zu schaffen haben?«
    Matthieu lenkte augenblicklich ein.
    »Vielleicht musste ich das alles auch einfach laut aussprechen, um zu sehen, wie absurd meine Vermutung ist.«
    »Das kann man wohl sagen. Morgen kommt Land in Sicht«, verkündete schließlich der Kapitän und beendete das Thema damit.
    »Und das wisst Ihr jetzt schon?«
    »Sieh mal nach Steuerbord.«
    Er beugte sich über die Reling. Zunächst entdeckte er nichts Auffälliges, abgesehen vom Silberstreifen des Mondes. Er suchte weiter, bis er schließlich ein lautes Pusten vernahm.
    »Wale …!«
    In etwa fünfzig Faden Entfernung tauchten in aller Seelenruhe zwei dunkle Umrisse aus dem Wasser auf und verschwanden wieder in der Tiefe.
    »Sie sind hergekommen, um sich zu paaren. Das tun sie um diese Jahreszeit vor der Küste Madagaskars.«
    »Ich hätte sie mir niemals so groß vorgestellt!«
    »Mach besser nicht zu viel Aufhebens darum. Für die Eingeborenen bringt das Unglück. Wenn du einen Wal siehst, musst du über genug Gleichmut verfügen, um ihn ohne große Worte vorbeiziehen zu lassen. Denn sonst …«
    »Was geschieht sonst?«
    »Das ist natürlich alles Aberglaube. Genieß einfach ihre Gesellschaft, wer weiß, ob du je wieder welche zu Gesicht bekommst!« La Bouche entfernte sich in Richtung Kajüte. »Und das ist erst der Anfang«, rief er noch, ohne sich umzudrehen. »Morgen hast du Gelegenheit, mit eigenen Augen die wilde Macht der Natur zu betrachten!«
    Und er behielt recht. Sobald der Morgen anbrach, veränderte sich das Murmeln des Meeres. Matthieu, der seit Stunden keinen Schlaf gefunden hatte, trat wieder an Deck. Was ging da vor sich? Nach weniger als einer Sanduhr rief die Wache: »Land in Sicht!«, und entfesselte so den Zauber.
    Matthieu rannte zum Bug des Schiffes. Der Kapitän konzentrierte sich mit all seiner Würde darauf, angesichts des einzigen Gebietes, das sich ihm im Verlauf seiner langen Karriere widersetzt hatte, eine unerschütterliche Haltung einzunehmen.
    »Die wilde Macht der Natur …«
    »Vergiss diesen Anblick niemals.«
    Und es war wirklich ein unvergessliches Bild, allein die Aussicht auf diesen winzigen Zipfel der riesigen Insel Madagaskar, der wie gemeißelt auf dem Meer dalag, war bereits überwältigend. Es war viel unfassbarer als die goldenen Strände von Gorée, als die Klippen am Golf von Guinea oder die glühenden Dünen Namibias. Denn hier gab es das alles an ein und demselben Ort. Als sie langsam näher kamen, konnte Matthieu den weißen Sandstrand mit den Überresten gestrandeter Haifische erkennen, die Hügel voll seltsamer Palmen, die sich ausbreiteten wie das Rad eines Pfaus, und die Bergkette mit den unregelmäßigen Zacken, die willkürliche Formen bildeten wie zu Stein gewordene Flammen.
    Er konnte den Blick kaum von all dieser üppigen und fremdartigen Schönheit abwenden.
    »Verdammt, Newton, wenn Ihr nur hier wärt …«, murmelte er vor sich hin und widmete dem Wissenschaftler den Anblick. Ihm, dem es gelungen war, nur durch seine Bücher die Herkunft der Melodie zu ergründen, dem Mann, dessen Größe darauf beruhte, den ganzen Kosmos als ein einziges Rätsel zu erachten, so wie die ersten Menschen, die unberührt eine reine und noch zu erforschende Welt

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