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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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Zeit einer ganzen Kerze, um ihre widersprüchlichen Gedanken in Worte zu fassen. Dabei drängte sie die im hintersten Winkel ihres Herzens verwahrten Gefühle zurück, die sich nach vorne kämpfen wollten. Er würde auch so wissen, was sie für ihn empfand. Schließlich schilderte sie knapp ihren Klosteralltag und entschied sich für ein paar belanglose Grüße, wobei es ihr immer wieder misslang, einen neutralen Ton zu treffen. Mehrmals hatte sie die Worte vom Pergament schaben und neu beginnen müssen. Erst ganz am Ende schrieb sie: »Sei auf der Hut vor Bischof Konrad, er weiß mehr, als wir ahnten!«
    Die kleine Rolle verschwand in Ludwigs Satteltasche. Er lächelte verschwörerisch. »Wie wäre es mit einer Locke von dir? Oder hat er die schon?«
    Sie trat ihn unauffällig auf den Fuß. »Hüte deine Lästerzunge! Sieh zu, dass der Bischof den Brief nicht in die Hände kriegt!«
    Er stutzte. »Wieso?«
    »Er hat mir gestern Nacht aufgelauert und mir gedroht, ich solle den Mund halten.«
    »Was?« Ludwig wurde bleich. »Aber woher weiß er …«
    Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Es kann sein, dass er mich nur auf die Probe stellen wollte. Ich glaube, ich habe mich ganz gut geschlagen.«
    Ludwig legte den Kopf schief. »Sieht er deinetwegen so aus, als hätte er mit einem Bären gerungen?«
    »Schon möglich.«
    »Dieser Bastard, ich werde ihn zur Rede stellen, sobald ich das Recht habe, mein eigenes Schwert zu führen!«, fauchte Ludwig leise.
    »Er drohte damit, Silas zu töten, falls ich nicht schweige.«
    »So weiß er also auch von euch?«
    Sie nickte verdrossen.
    »Ich werde ein Auge auf ihn haben, vertrau mir. Mit mir rechnet er nicht. Das gibt mir einen großen Vorteil.«
    »Bitte gib auf dich acht! Wenn Silas gewarnt ist, genügt das. Er ist schlau genug, sich den Bischof vom Hals zu halten.« Voller Sorge musterte sie ihren Bruder. Sobald es vollständig hell war, verließen die Gäste die Herberge, und der Alltag machte sich in den Stiftsgebäuden breit. Judith war versucht, auf den Kirchturm zu klettern, um einen wehmütigen Blick auf die an Eschwege vorbeiziehenden Ritter zu werfen. Sie stellte sich all die bunten Wimpel und die kräftigen Schlachtrösser vor, die knarrenden Trosswagen und die übermütigen Pferdejungen. Doch rief die Glocke zur Terz, und sie durfte nicht schon wieder das Gebet versäumen. Während der Liturgie taumelten ihre Gedanken wie Schmetterlinge um eine frische Blüte. Würden die Männer gesund wiederkehren? Was mochte Silas über ihren Brief denken? Immer öfter jedoch drängte sich Beatrix’ Bild vor ihr inneres Auge. Irgendetwas an ihrem Verhalten war ungewöhnlich gewesen. Nachdem sie ihr gestern nur die kalte Schulter gezeigt hatte, wurde sie heute freundlich und gesprächig, so als ob sie etwas im Schilde führen würde. Warum hatte sie nicht einfach ihre Dienerin nach der Arznei geschickt? Stattdessen hatte sie außergewöhnliches Interesse an dem Arzneischrank bekundet.
    Während des letzten Gebets konnte Judith kaum noch stillstehen. Eine Ahnung beschlich sie, die ihr die Andacht nahm. Die Ungeduld kribbelte in ihren Fingerspitzen, als sie schließlich allein vor dem Altar kniete und die Fürbitte für das Seelenheil der Königin verrichtete. Gerade hatte das Amen ihre Lippen verlassen, raffte sie ihr Gewand und eilte zum Krankenzimmer. Hastig zerrte sie den Schlüssel hervor und schloss auf. Alle Laden waren ordentlich zugeschoben, sie fuhr mit den Fingern über die Fronten. Sie konnte unmöglich den Inhalt aller Kästen kontrollieren, der Unterricht wartete. Wie von selbst griff ihre Hand nach dem Schub mit der Aufschrift
Aconitum.
Er befand sich in der obersten Reihe, und sie wusste, dass der kleine Leinenbeutel mit den getrockneten Wurzelknollen darin noch prall gefüllt gewesen war. Sie zog den Kasten heraus und fasste hinein. Er war leer.
    »Eisenhut!«, flüsterte sie fassungslos. Was hatte Sigena Beatrix über diese Pflanze erzählt? Nur, dass sie gegen Herzbeschwerden half? Oder auch, dass die kleinste Überdosierung unausweichlich zum Tod führte? Um sicher zu sein, tastete sie den Hohlraum ab, den die Lade im Schrank hinterlassen hatte. Nichts. Der Beutel blieb verschwunden. War die Schüssel mit dem Mörser nicht zufällig hinuntergefallen? Hatte Beatrix sie damit abgelenkt?
    Wenn sie nur jemanden um Rat fragen könnte. Die Äbtissin? Doch sollte sich herausstellen, dass sie nachlässig mit gefährlichen Arzneien umgegangen war, nahm sie ihr mit

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