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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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beseitigen musste. Dann sprangen die Knechte hinter die Packwagen, um die Räder mit schweren Steinen zu blockieren, damit die Gespannpferde sich erholen konnten. Diese unfreiwilligen Pausen zerrten an den Nerven, und die Gereiztheit der Männer ging schließlich auf die Tiere über. Der Herzog und auch Konrad ritten am Zug entlang, schlichteten Meinungsverschiedenheiten und sprachen den Männern Mut zu.
    Beatrix dagegen genoss die Reise, als gäbe es keine Probleme. »Sieh nur, diese Gipfel, wie majestätisch sie dort in der Abendsonne liegen. Ich fühle mich dem Herrgott viel näher, wenn ich sie betrachte.«
    »Bitte führt Euer Pferd nicht so dicht an den Abgrund, Durchlaucht! Mir wird angst und bange.«
    »Judith, sei nicht so ängstlich. Das Tier weiß schon selbst, wie weit es gehen kann!«, sagte Beatrix lachend.
    »Trotzdem solltet Ihr vorsichtig sein, Hoheit!«, mischte sich der Herzog ein, der die letzten Worte gehört hatte und sein erschöpftes Pferd neben ihre Stute lenkte. »Wenn Ihr bitte absitzen würdet, ich möchte Euch etwas zeigen.«
    Neugierig stiegen sie aus dem Sattel. Ein Knecht übernahm die Zügel. Berthold führte die Frauen ein kurzes Stück des Weges zurück zu einem kleinen Vorsprung, den ein größerer Felsblock über dem Berghang bildete. Von ihm aus konnten sie die mehrfach gewundene Schlange des Heerzugs sehen, die langsam und stockend aufwärts kroch. Zwischen der Straße direkt unter ihnen und ihrem Standort wuchsen am steinigen Hang kümmerliche Fichten. Infolge des scharfen Winds waren sie alle in eine Richtung verkrümmt und an den Boden geduckt. Auf sie zeigte der Herzog. »Seht dort, rechts neben dem obersten Bäumchen!«
    Was wollte er? Da waren doch nur Steine? Doch da! Einer der vermeintlichen Steine richtete sich unerwartet auf. Judith unterdrückte einen Ausruf. Plötzlich sah sie, was er meinte. Hinter den Krüppelfichten saß eine Gruppe kleiner Tiere. Graues Fell machte sie zwischen den Felsbrocken beinahe unsichtbar. Sie sahen aus wie dicke Hasen, allerdings fehlten ihnen die langen Ohren. Aufrecht hockten die Jungen um die größeren Tiere herum und kauten an etwas, was sie zwischen den Vorderpfoten hielten. Dabei schauten sie sich immer wieder aufmerksam um. Der Lärm von der Straße unter ihnen schien sie nicht zu stören.
    »Was sind das für Tiere?«, fragte Beatrix.
    »Man nennt sie Murmeltiere«, antwortete der Herzog. »Sie leben nur hier oben in den kargen Bergen.«
    »Eine ganze Familie, wie es scheint.« Judith trat einen Schritt vor. Dabei löste sich ein Stein und polterte den Hang hinab. Schnell wie der Blitz waren die possierlichen Tierchen verschwunden. Von den Soldaten unten auf dem Weg kamen Warnrufe. Einer schrie: »Passt doch auf da oben!«
    Der Herzog fasste Judiths Arm und zog sie sacht zurück. »Seid vorsichtig, die Wegkanten geben leicht nach.«
    Im selben Moment hörten sie einen Schmerzensschrei von unten, der durch Mark und Bein ging. Erschrocken sahen sie hinab. An einem der Gepäckwagen rief jemand um Hilfe.
    »Ich muss hin!« Sie lief zum Wagen, wo sie eine Tasche mit dem Notwendigsten für medizinische Zwecke liegen hatte.
    Der Herzog half ihr auf das Pferd. »Ich begleite Euch!«
    Gegen den Strom der stoisch dahinziehenden Menschen und Tiere zu reiten war nicht einfach. Ihre Stute ging so nah am Abgrund, dass Judith befürchtete, vom Schwindel in die Tiefe gezogen zu werden.
    »Schaut nicht hinab!«, rief Berthold hinter ihr.
    Sie versuchte den Kopf nicht nach rechts zu drehen und betete, dass die Wegkante hielt. Hinter einer scharfen Kurve riss der Zug ab, der Packwagen mit einem aufgeregten Menschenknäuel darum versperrte den Weg. Berthold drängte sein Pferd an ihrem vorbei.
    »Was ist passiert?«, rief er. Die Leute machten Platz.
    »Ein Pferdeknecht, Herr!«
    »Seine Hand …!«
    »Er griff ins Rad, im selben Moment, als es brach.«
    Die Männer standen ratlos und bleich um einen Jungen herum, der gekrümmt am Boden kauerte.
    »Macht Platz!« Sie drängte sich vorbei und kniete nieder. Vorsichtig zog sie dem Knecht die Hand aus dem Schoß. Die Umstehenden stöhnten auf. Sie warf dem Herzog einen hilfesuchenden Blick zu.
    »Geht an eure Arbeit, Leute. Repariert den Wagen. Bald ist es dunkel.« Er schob die Männer vor sich her. »Hier gibt es nichts zu sehen.«
    Judith atmete tief durch. Das Wagenrad hatte vier Finger völlig zerquetscht, lediglich der Daumen war unversehrt. Sie wusste sofort, dass sie nichts tun konnte, außer

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