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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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Tag des heiligen Bonifats anno 1160
    »So schwierig es schon ist, einen klaren Gedanken zu fassen, scheint es mir unmöglich, Worte daraus zu formen. Ich muss es trotzdem versuchen. Nichts ist mehr wie zuvor. Wir fanden Isabella auf der Runesburg, bei einer alten Götzenstätte, von der wir nicht einmal etwas wussten. Ihre Schläfe wies eine tiefe Wunde auf, der Schädelknochen war zertrümmert und ins Gehirn gedrungen. Blut und Haare klebten auf einem der Steine. Vater glaubt, sie wäre vom Pferd gestürzt und unglücklich gefallen. Ich erinnerte ihn daran, wie gut Isabella reiten konnte. Ich sagte ihm, dass ich ihre Stute unten am Hügel gesehen hatte, am Gestrüpp festgebunden. Noch nie habe ich ihn so wütend gesehen. Er hat mir streng untersagt, irgendwelche hanebüchenen Vermutungen zu äußern. Schon gar nicht gegen den Bischof, der über jeden Verdacht erhaben ist. Vater fühlt sich schuldig dem Kaiser gegenüber. So kann ich nichts tun, um ihren Tod zu sühnen. Ludwig schweigt. Er ist in eine seelische Starre verfallen, nichts und niemand kann ihn erreichen. Doch fürchte ich, dass die Kruste eines Tages brechen wird, und dann wird es ein weiteres Unglück geben. Wenn ich doch nur rechtzeitig meine Augen aufgetan hätte.
    Heute übergeben wir ihre sterbliche Hülle der Erde. Niemand von ihren Eltern wird dabei sein. Wir werden ihre Familie sein, so wie es zuletzt immer war. Vater hat Boten nach Mailand zum Kaiser gesandt und auch nach Ravensburg, wo Adela lebt. Doch wenn sie ankommen, werden bereits Blumen auf ihrem Grab liegen. Was für ein Ende! In wenigen Wochen wäre sie siebzehn geworden. Wie stolz war sie darauf, ein paar Monate älter zu sein als ich. Du wirst mich niemals einholen, neckte sie mich oft. Wir dachten beide nicht, dass das möglich wäre. Nun bleibt nichts, als zu beten. Für Isabella und für Ludwig, dessen tiefer Schmerz uns alle zusätzlich betroffen macht.«
    Am Abend nach Isabellas Beisetzung zog sich Judith in den Küchengarten zurück. Sie wollte allein sein, und hier war der beste Platz dafür. Auf dem Tisch unter dem Kräutergestell schlief die rote Katze. Ihre Jungen waren nirgends zu sehen. Wahrscheinlich tollten sie im Gänsestall umher und provozierten den Ganter. Sie pflückte sich einen Thymianzweig und zerrieb die spitzen Blättchen zwischen ihren Fingern. Der Duft erinnerte sie an Silas. Sie legte den Kopf in den Nacken. Neben der schmalen Mondsichel funkelte ein früher Stern. Ob er ihn auch sah, jetzt im selben Moment? Würde er sich Sorgen machen, wenn er von Isabellas Tod hörte? Bestimmt würde er nicht an die Version vom Reitunfall glauben.
    Die Katze erhob sich gähnend, streckte sich und sprang auf die Bank. Judith setzte sich zu ihr und kraulte ihr das weiche Fell. Sie musste nachdenken. Isabella würde erwarten, dass sie ihr Werk fortsetzte. Außerdem war sie ihr das schuldig. Sie stöhnte leise. Auf Ludwig brauchte sie nicht zu zählen, er vergrub sich in seinem Kummer wie ein Igel im Herbstlaub. Sie fühlte sich allein gelassen. Unter all der Trauer um die Freundin schlummerte ein Groll, für den sie sich insgeheim schämte. Sie konnte Isabella nicht verzeihen, dass sie gehandelt hatte, ohne sie um Rat zu fragen oder auch nur ins Vertrauen zu ziehen. Sie ahnte, dass Ludwig genauso dachte. Gewiss warf er sich die schlimmsten Dinge vor, weil er Isabella nicht hatte helfen können. Doch beging sie nicht den gleichen Fehler, wenn sie auf eigene Faust versuchte Konrad und Beatrix zu überführen?
    Über ihr drangen Männerstimmen aus einem Fenster. Das Licht einer Öllampe flackerte über dem Sims. Sie drückte sich dichter an die Rosenhecke hinter der Bank.
    »… abwarten, wie der Kaiser auf diese Nachricht reagiert.« Das war die besorgte Stimme ihres Vaters.
    »Macht Euch nicht zu viele Gedanken. Friedrich hing nicht besonders an ihr. Ich denke, er hatte sie bereits vergessen. Schließlich hätte er sie längst verheiraten müssen.« Konrads Näseln klang gedämpft, als würde er ahnen, dass es eine heimliche Zeugin gab.
    »Meint Ihr wirklich? Ich glaubte, er suchte nach einem ganz besonderen Mann für seine Tochter.«
    Ein verächtliches Schnauben folgte. Judith ballte die Fäuste.
    »Da liegt Ihr sicher falsch, Graf Ludwig. Doch sagt, denkt Ihr manchmal auch an die Zukunft Eurer Tochter? Mir scheint, sie ist jetzt in einem Alter …«
    Sie hielt die Luft an, aus Angst, etwas nicht richtig zu verstehen. Was bildete dieser bockfüßige Mistkerl sich

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