Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
mit einer Frage beschäftigt, die der Rabbi gestern aufgeworfen hatte, leerte Joschua seine Schale. Es dauerte geraume Zeit, bis ihm auffiel, dass das Gespräch zwischen Rifka und ihrer Magd an der Tafel verstummt war.
Irritiert sah er auf. Hannah machte sich bereits am Herdfeuer zu schaffen, aber Rifka saß noch auf der Bank und schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein. Nachdenklich betrachtete Joschua ihren gesenkten Kopf. Sie trug das Haar sorgsam gescheitelt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen.
›Schwarz und glänzend wie die Flügel eines Raben‹, dachte er und lächelte.
Als hätte sie seinen Blick gespürt, schaute sie plötzlich auf. Ihre Züge wirkten besorgt.
»Bedrückt dich etwas?«, fragte er.
Für einen Augenblick hatte er den Eindruck, als wolle sie den Kopf schütteln, doch dann sagte sie: »Ich bin ein wenig beunruhigt wegen eines Fremden, den ich nun schon einige Male vor unserem Haus gesehen habe.«
Joschua runzelte die Stirn. »Wen meinst du? Mir ist niemand aufgefallen.«
»Das hätte ich auch nicht gedacht.« Ein erheitertes Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. »Einem Mann, der so sehr in seine Gedanken verstrickt ist, dass er am eigenen Haus vorbeiläuft, können derlei Dinge nicht auffallen«, neckte sie ihn.
»Du hast mich gesehen?«
»Nein, Hannah hat dich gesehen. Sie hat es mir erzählt. «
Joschua erwiderte ihr Lächeln ein wenig verlegen. »Nun, es ging um die Frage, warum wir nach Sonnenuntergang des Auszugs aus Ägypten gedenken«, gab er zu und begann ihr von der Debatte zu erzählen, die um diesen Abschnitt aus dem Talmud entbrannt war. Nach einer Weile bemerkte er, dass Rifka ihm zwar zuhörte, doch nicht so angeregt darauf einging, wie sie es sonst zu tun pflegte.
Er stockte, fuhr mit der Hand durch seine dunklen Locken, die ihm wie stets in die Stirn fielen, und überlegte, wie ihr Gespräch seinen Anfang genommen hatte.
»Du wolltest mir von einem Fremden erzählen, der dich beunruhigt hat«, fiel ihm schließlich wieder ein.
Falls Rifka überrascht war, dass er den Gegenstand so plötzlich wechselte, zeigte sie es nicht. »Ja«, antwortete
sie. »Ich habe den Eindruck, als würde er unser Haus beobachten. «
Joschua runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf, dass er dergleichen tut?«
»Zum ersten Mal fiel der Mann mir auf, als Vater abgereist ist«, erklärte sie. »Wir hatten uns alle vor dem Haus versammelt, um ihn zu verabschieden, erinnerst du dich?«
Joschua nickte.
»Da entdeckte ich ihn, wie er nebenan, an der Ecke von Davids Haus, stand und zu uns herüberschaute.«
»Womöglich hat er auf jemanden gewartet.«
»Zuerst hatte ich das auch vermutet, aber dann sah ich ihn später wieder an derselben Stelle stehen, und dann noch zwei weitere Male.« Als wolle sie ihre eigenen Zweifel verscheuchen, schüttelte Rifka den Kopf. »Gestern stand er erneut an derselben Stelle. Ich wollte wissen, wie lange er wohl auf seinem Posten ausharrt, und darum habe ich ihn meinerseits beobachtet. Tatsächlich blieb er bis Sonnenuntergang am selben Fleck.«
»Und beobachtete unser Haus?«, wiederholte Joschua beunruhigt.
Rifka zuckte mit den Schultern. »Zumindest hatte ich den Eindruck.«
»Wie sah der Fremde aus?«, wollte er wissen.
»Ich hörte ihn französisch sprechen, darum nehme ich an, dass er ein Welscher ist«, antwortete Rifka. »Gekleidet war er wie ein Mann, der sich mit Schwert und Pferd auskennt. Ein Söldner vielleicht?«
Joschua spürte, wie sich ein ungutes Gefühl in seinen Magen schlich. Er konnte sich nur zwei Gründe denken, warum ein Fremder das Haus des Kaufmanns Jehuda ben Eliesar beobachten sollte. Entweder trachtete der Mann danach, sich an den Waren zu vergreifen, oder aber – und dieser
Gedanke war weitaus besorgniserregender – es ging um den Grund, der seinen Vater anstelle von Esra nach Sachsen geführt hatte.
Jehuda, Esra und er waren vor der Abreise des Vaters übereingekommen, niemanden in jenen Auftrag einzuweihen, der ihm übertragen worden war. Zum einen galt es, die Forderung nach höchster Verschwiegenheit zu wahren, und wäre ein Wörtchen davon an Esthers Ohr gelangt, hätte binnen kurzem halb Worms davon gewusst. Zum anderen hatte es nicht dafür gestanden, die Frauen unnötig zu beunruhigen.
Joschua seufzte.
Er zweifelte nicht daran, dass Rifkas Einschätzung ihrer Beobachtungen richtig war. Sie neigte nicht zur Übertreibung, das wusste er, und hatte einen aufmerksamen Blick für das, was um sie herum
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