Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
beiseite und lief in Richtung Hühnerstall. Umberto folgte ihm, sichtlich beunruhigt.
Das Winterlicht hatte keine Kraft, und es war dämmrig, aber die vom Schnee schon halb verdeckten Spuren ließen keinen Zweifel zu: ein Überfall. Der Nubier schloss die Augen und versuchte, die Geschichte zu erspüren, die dieser Ort zu erzählen hatte. Sein Herz schlug schnell. Er sah einen Mann vor sich, auf der Flucht. Aber wo war Bella? Wieder konzentrierte er sich. Nichts. Er öffnete die Augen. Hilflos drehte er sich um die eigene Achse. Die Spuren führten vom Hühnerstall weg.
»Was ist hier in der Nähe, Umberto? Könnte man sie irgendwo verstecken?«
Der Leibdiener schüttelte verneinend den Kopf. »Das Einzige hier ist ein kleiner Fischteich …«
Sein Blick traf den des Schwarzen. Nwuma nickte.
»Zeig mir, wo«, schrie er und lief dem anderen nach, in der Hoffnung, Bella lebend zu finden.
Als sie das Mädchen aus dem Wasser zogen, atmete es nicht mehr. Nwuma heulte auf vor Wut und Schmerz. Was zu tun war, wenn ein Mensch zu viel Wasser geschluckt hatte, wusste er von Unglücksfällen auf hoher See, wenn ein Mensch über Bord ging und dann halbtot aus dem Wasser geborgen wurde. Er drückte auf ihren Brustkorb, hauchte ihr seinen Atem ein. Eine Ewigkeit verging. Umberto stand stumm daneben, wie erstarrt. Dann, endlich. Bella bäumte sich auf, holte tief Luft, spuckte Wasser. Nwuma lachte und weinte zugleich, riss sich das Gewand vom Leib und wickelte das Mädchen darin ein. Dann nahm er Bella hoch und trug sie schnell in den Palazzo zurück. Bereits an der Tür zur Küche kam ihnen Massimo entgegengelaufen; er verstand sofort und riss die Truhen auf, um Decken herbeizuschaffen.
Sie betteten das Mädchen direkt vor die Feuerstelle auf den Boden und deckten sie zu. Nwuma hielt ihre Hand.
»Sie mich an, Bella. Nicht wieder einschlafen. Alles ist gut. Hörst du. Alles ist gut.«
»Was ist hier los?«
Cassandra war in die Küche eingetreten und blickte voll Entsetzen auf die drei Männer, die um Bella herum knieten. Sie reagierte, ohne zu zögern:
»In das Zimmer meiner Zofe. Auf der Stelle.« Und an Massimo gewandt: »Bereite heißes Wasser und Kräutertee. Mit Honig, viel Honig, und dann sag den Mägden, sie sollen Leintücher in Streifen schneiden. Sie sollen sie in heißes Wasser tauchen. Wir machen Wickel daraus. Und nun spute dich, Koch!«
Massimo schluckte und nickte. Er war nicht fähig, klar zu denken. Gut, dass es jemanden gab, der ihm einen Befehl erteilte. Fabrizios Gemahlin rauschte hinaus, drehte sich jedoch noch einmal kurz um.
»Heiße Steine brauchen wir auch. Für ihr Bett. Und du, Nubier«, wandte sie sich an Nwuma, »bekleide dich.«
Obwohl Giuliano de’ Medici von ausgesuchter Gastfreundschaft war und Paolo jeden Wunsch von den Augen ablas, wurde dieser von Tag zu Tag unruhiger. Er wusste, er war schon viel zu lange hier, und alle Bemühungen, etwas über Fabrizios Schicksal in Erfahrung zu bringen, waren bislang gescheitert. Manchmal hegte er den Verdacht, der Florentiner könnte etwas damit zu tun haben, doch dann schalt er sich einen Narren, auch nur an so eine Ungeheuerlichkeit zu denken. Selbst ein ausgekochtes Schlitzohr wie Giuliano würde es nicht wagen, in dieser Art mit seinen Verbündeten umzugehen. – Wirklich nicht?
Der junge Conte saß in seinem Gemach vor dem Kamin und blickte in die zuckenden Flammen. Vielleicht war ja gerade das Ausmaß der Ungeheuerlichkeit der Trick. Er schüttelte den Kopf. Welchen Grund sollte es dafür geben? Seine Nichte Cassandra bekam ein Kind; wenn er selbst auf die Vorherrschaft in Siena spekulierte, musste er nicht nur Fabrizio, sondern auch seinen Vater, seine Frau und den Erben beseitigen lassen. Andererseits waren die Medici für ihr skrupelloses Vorgehen bekannt. Sie nahmen sich, was sie wollten, und stopften denen, die ihnen gefährlich wurden, das Maul mit Silber oder ließen sie ganz einfach verschwinden. Vielleicht wollte Giuliano auch nur Zeit gewinnen. Paolo runzelte die Stirn. Sein Misstrauen gewann die Oberhand, und er beschloss, das Handeln seines Gastgebers von nun an noch genauer zu beobachten. Mit entschlossener Miene stand er auf und begab sich zum großen Saal des Hauses, wo sich wie an fast jedem Abend die bedeutendsten Herrschaften aus Florenz versammelten, um gemeinsam mit Giuliano zu speisen. Vielleicht waren es Blicke, versteckte Zeichen, die ihn warnten. Sei wachsam, sagte Paolo zu sich selbst und betrat den Saal.
Pietro
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