Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
seinen Mitbrüdern erholte sich Cassandra schneller als erwartet, und sie konnte ihren Sohn mit genügend Milch versorgen. Der Fürst war außer sich vor Freude darüber gewesen, dass das Kind anscheinend gesund und lebensfähig war, und er ließ es sich nicht nehmen, die Wöchnerin ausgiebig zu besuchen. Fabrizio, der wohl endlich begriffen hatte, dass er Vater geworden war, hielt sich ebenfalls viel am Lager seiner Gemahlin auf und herzte sein Kind.
Die Einzige, die diese Freude nicht gut teilen konnte, war Bella. Di Nanini hatte ihr zwar überschwänglich für ihre Geistesgegenwart und Hilfe gedankt, aber sie wurde nicht gerufen, um an Cassandras Bett zu kommen oder den Kleinen zu pflegen. Sie gehörte nicht dazu, und zum ersten Mal in ihrem Leben spürte Bella Neid und Eifersucht in sich nagen. Warum war sie allein, warum hatte sie keine Familie? Sie sehnte sich nach Nwuma, nach dem Duft des Öls, mit dem er seine Haut einrieb.
Mit einem Seufzer griff Bella nach dem Buch, das der Mönch ihr vor ein paar Tagen mitgebracht hatte. Es handelte vom Drachenkampf des heiligen Giorgio. Sie sollte es lesen und ihm den Inhalt erzählen. Doch sosehr sie sich bemühte, sie konnte sich nicht konzentrieren. Die Buchstaben verschwammen zu kleinen Klecksen. Von der anderen Seite der Galerie hörte sie das Kind schreien, die Zofe sang ein Wiegenlied. Bella blickte hoch. Dann schlug sie das Buch zu und warf sich aufs Bett. Als einige Zeit später der Mönch ihr Gemach betrat, um den Unterricht zu beginnen, weinte sie immer noch.
Im Morgengrauen erreichte Benedetto Lucca. Er war müde, aber der Wille, die Wahrheit zu erfahren, bezwang seinen Wunsch nach Schlaf. Er versteckte sein Pferd so weit vom Palazzo entfernt, dass sein Wiehern dort nicht gehört werden konnte. Als er sich dem Hof von der Seite der Stallungen her näherte, drangen Stimmen an sein Ohr, laut und klagend. Lichter wurden entzündet, Diener liefen hin und her. Niemand schien den Fremden zu bemerken, der sich am Cortile vorbei zum Kräutergarten schlich. An der Tür zur Küche blieb er stehen. Sie war wie immer nur angelehnt, und er öffnete sie vorsichtig einen Spalt weit. Eine Magd saß am Tisch und heulte, eine andere hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt und weinte stumm. Rocco kam hereingelaufen, holte etwas, lief wieder hinaus.
Der Zigeuner spürte, irgendetwas Schreckliches war geschehen. Lautlos begab er sich in den Innenhof und presste sich eng an die Mauer. Überall war Licht; der hellste Schein kam aus dem Gemach des Conte. Am Fenster stand Donna Donata. An diesem Morgen würde er gar nichts erfahren, so viel war sicher. Er würde zu seinem Pferd zurückkehren und ein paar Stunden schlafen. Zur Mittagszeit wollte er einen neuen Versuch machen, Rocco zu sprechen.
Die Contessa stand noch immer am Fenster und betrachtete Ascanio, der bleich und fremd im Bett lag. Sie hatte ihn besucht, um mit ihm über den Besuch des Nubiers zu sprechen. Vor Paolo hatte sie das nicht tun wollen. Ihr Gemahl hatte sich gefreut, sie zu sehen. Es schien ihm gutzugehen, und er hatte Mahmut gebeten, ihnen Kräuterwein zu bringen. Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie an den Moment dachte, in dem der Conte sich an die Brust griff. Dann sank er in sich zusammen, ohne ein Wort. Sie blickte zu Mahmut hinüber, der am Bett ihres Mannes kniete, und weinte wie ein Kind. Nun spürte sie Paolos Hand an ihrem Arm.
»Wir können hier nichts mehr tun«, sagte er leise, »er hat jetzt seinen Frieden.«
Donna Donata nickte und ließ sich von ihrem Stiefsohn an der Hand aus dem Gemach ziehen. Der Pfarrer würde gleich da sein. War das alles zu viel gewesen für Ascanio? Ein Sohn im Kloster, der andere ungehorsam und entschlossen, ein Mädchen aus einfachem Stand zu heiraten? Die Tochter eines Buttero … Meine Tochter ist eine Nobile, dachte sie, aber das weiß Paolo ja nicht. Ascanio dagegen … Konnte er die Vorstellung nicht ertragen, Bella tagtäglich um sich zu haben, die fleischgewordene Sünde seiner Gemahlin? War er deshalb gegen die Verbindung? Darf ich es ihm verübeln, wenn es so ist?, überlegte die Contessa. Nein, gab sie sich selbst die Antwort. Das konnte sie nicht.
Rocco wollte allein sein. Erschüttert vom plötzlichen Tod seines Herrn nahm er seinen Umhang und verließ die Kammer, in der er mit seiner Familie lebte. Lucio sprang auf und wollte ihn begleiten, aber Josepha hielt das Kind zurück und lächelte ihrem Mann zu. Der Koch trat vor die Tür und blickte
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