Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
hier.«
Er gab dem Mädchen einen weiteren Schubser. Die Kleine konnte doch jetzt nicht alles verderben. Warum starrte sie bloß die ganze Zeit die Herrin an? Doch Bella konnte nicht anders. Ihre Augen hingen an der Contessa. Bislang hatte sie sie immer nur von Weitem gesehen, aber nie ihre Stimme gehört. Wie eine Waldfee sah sie aus mit ihrer hellen Haut und den schwarzen Haaren, die zu einem losen Zopf geflochten waren. Und wie elegant sie sich bewegte. Und wie angenehm ihre Stimme klang!
»Komm zu mir, Magdalena.«
Donna Donata schob die Platte mit den Kalmaren von sich und wandte sich interessiert dem Mädchen zu, das langsam herankam. Rocco bemerkte, wie ein leichter Schatten über die Miene der Frau glitt.
»Noch näher.«
Ihre Stimme war auf einmal leise geworden. Ein lautloser Schrei entfuhr ihrer Kehle, ihr wurde schwindelig. Sie wollte gerade nach der Hand des Kindes greifen, da hörte sie laute Schritte. Der Conte stand in der Tür.
»Genug jetzt. Ihr alle … fort!«
Ascanios Stimme klang laut und gereizt, er gebot den Dienern mit Gesten, sich zu entfernen. Dann folgte er ihnen auf die Galerie, schloss die schwere Tür zu Donatas Zimmer hinter sich und ging zurück in seine Gemächer.
Mit gesenktem Kopf traten die beiden jungen Köche vor den Küchenmeister.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Gianni vorsichtig, denn er bemerkte, wie sehr das gerade Erlebte Rocco und Bella beschäftigte. Sein Ziehsohn fand als Erster die Sprache wieder. Er zuckte mit den Schultern und sagte:
»Nichts.«
Dann ließ er sich auf einen Holzschemel fallen und trat halbherzig nach einem Käfer, der es auf dem festgetretenen Küchenboden lebendigen Leibes bis hierher geschafft hatte. Rocco wollte seine Enttäuschung überspielen, doch es gelang ihm nicht. Er blickte starr auf den Boden, sah dem Käfer nach, wie er langsam, aber unbeschadet seinen Weg fortsetzte.
»Sie ist schön«, sagte Bella leise und ging zu Gabriella, die ihr ein Tuch um die Schultern legte. Zögernd wandte sie sich der Tür zum Garten zu, dann gab sie ihrer Sehnsucht nach und drehte sich zu ihren Freunden um. Sie lief auf Gianni zu, der sie mit offenen Armen erwartete und hochhob. Er drückte ihr einen lauten Kuss auf die Wange und setzte sie vorsichtig wieder ab. Jetzt trat Rocco an sie heran. Etwas linkisch und verlegen vor all den Menschen in der Küche zog er sie an sich und drückte sie fest. So leise, dass nur Bella es hören konnte, sagte er:
»Ich warte auf dich.«
Dann schob er sie von sich und nickte wie zur Bekräftigung. Bella konnte nichts erwidern. Sie sah von einem zum anderen, prägte sich die Gesichter ein, versuchte zu lächeln. Da spürte sie Gabriellas Hand, die nach der ihren griff und sie mit sich zog. Sie wusste nicht, warum sie von hier fortmusste, aber sollte sie jemals hierher zurückkehren, dann würde alles anders sein. So viel war gewiss.
8. KAPITEL
B ella weinte. Ihr Kopf lag auf Gabriellas Schoß, und sie spürte, wie die Hände der alten Frau ihr sacht über die Haare strichen. Ihre Mutter lag im Sterben. Sie hatte einem Sohn das Leben geschenkt und plötzlich hohes Fieber bekommen. Giacomo hatte einen Boten nach ihnen geschickt, damit sie von der Mutter Abschied nehmen konnten. Er schien jede Hoffnung auf Genesung bereits aufgegeben zu haben. Gabriella sprach von alldem mit kaum hörbarer Stimme; sollte Anna wirklich verloren sein? Immer wieder brach sie in Tränen aus und zog das Mädchen an sich. Der Weg war weit; Lucca lag mehr als zwei Tagesreisen von Grosseto entfernt. In ihrem Innersten wusste Gabriella, dass es fast unmöglich war, Anna noch lebend anzutreffen.
Der Wagen hatte die Stadtmauern von Pisa bereits hinter sich gelassen und fuhr an der Küstenstraße südwärts auf Grosseto zu. Er wurde von zwei braunen Maremmenpferden gezogen, für die diese Ladung sichtlich keine Mühe bedeutete. Sie waren es gewohnt, schwere Körbe mit Gemüse und Obst zu tragen, und fanden sich in der ungewohnten Umgebung gut zurecht. Der Conte selbst hatte Befehl gegeben, Gabriella und das Mädchen mit einem Wagen nach Grosseto zu bringen. Enrico, der ihn lenkte, wunderte sich nicht darüber.
Jedermann am Hof von Lucca wusste, dass die Alte eine besondere Bedeutung für Ascanio besaß, aber war es wirklich nötig, sie wie eine Mutter zu behandeln und mit allen Annehmlichkeiten auf diese Reise zu schicken? Hätte es ein Eselskarren nicht auch getan? Gabriella war nur eine einfache Frau! Der Kutscher zog seinen Hut tiefer
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