Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
wiederkommt, ist er verloren. Seine Augen werden von Tag zu Tag schwächer, seine Zunge kann Gutes von Besserem bald nicht mehr unterscheiden. Er wird alt, mein Bruder. Gianni braucht einen Nachfolger, einen Erben. Aber wer tritt in seine Fußstapfen?«
Carlo zuckte mit den Schultern.
»Sein Sohn Benedetto erkennt jede Frau im Umkreis von zwei Tagesritten am Klang ihrer Schritte, aber er kann ein Huhn nicht von einem Fisch unterscheiden. Und Rocco … Rocco erfindet in seinem Kopf die schönsten Speisen. Aber er kann nicht gut riechen, nicht abschmecken. Er braucht Bella, sie alle brauchen Bella, damit die Küche des Conte nicht ihren Ruf verliert. Du kennst unseren Vater, Paolo – er würde sich nicht scheuen, den alten Gianni vom Hof zu jagen, wenn nicht gar Schlimmeres.«
Besorgt blickte Carlo den Bruder an.
»Ich bin in der Küche aufgewachsen. An der großen Feuerstelle habe ich gespielt, und Gianni hat mir frisches Gänsebrät in die Backen gestopft. Ich hatte es gut bei Gianni, und ich kann nicht mit ansehen, wie er vor Angst und Kummer kaum noch eine Zwiebel schälen kann.«
Carlo wandte sich abrupt ab und sah angestrengt nach vorn. Er ließ sich gerade von Paolo ins Herz blicken, doch diese Nähe war er nicht gewohnt. Auch sein Bruder blieb stumm, und so ritten sie eine Weile schweigend nebeneinander her. Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel, sie kamen gut voran, und mit etwas Glück würden sie gleich auf die Jagdgesellschaft treffen. Paolos Augen suchten die Umgebung nach Anzeichen dafür ab.
»Und was sollen wir nun tun?«
Er verlangsamte den Schritt seines Pferdes und blickte erwartungsvoll zu seinem Bruder. Auch wenn er nicht mit derselben zärtlichen Liebe an Gianni hing, er verstand Carlo und wusste, dass dessen Befürchtungen nur allzu berechtigt waren.
Carlo wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn und wollte gerade antworten, doch mitten in der Bewegung erstarrte er. Weniger als hundert Schritte entfernt hatte er einen Reiter entdeckt, der einem Trupp anderer Reiter vorauseilte: Ascanio di Cavalli. Die Brüder nickten einander zu und drückten ihren Pferden die Stiefel in die Flanken. Und laut johlend schlossen sie zur Gruppe vor ihnen auf.
Es dauerte einige Augenblicke, bis Bella sich an die Dunkelheit der Kate gewöhnt hatte. In dem Moment, als sie durch die niedrige Türöffnung ins Innere des Steinhauses trat, schlug ihr ein süßlicher, unangenehmer Geruch entgegen. Angewidert blieb sie stehen, doch Gabriella versetzte ihr einen vorsichtigen Stoß. Dann trat auch sie ein.
»Mein liebes Mädchen. Meine Bella.«
Anna lehnte von Kissen gestützt auf ihrem Strohlager, Giacomo saß an ihrer Seite und streichelte ihr Gesicht, ihre Haare. Er weinte hemmungslos. Wie starre Holzpuppen standen Lucilla und Marina an der Feuerstelle, die Augen rot und müde geweint.
»Komm zu mir, Bella.«
In der Stimme ihrer Mutter war auf einmal so viel Liebe. Vorsichtig trat das Mädchen näher an das Lager der Eltern heran. Sie war fassungslos. Bella spürte, dass ihr schwindelig wurde. Sie ließ sich an der Bettstatt nieder und suchte Annas Hand. Sie war heiß, so wie von Annas ganzem Körper eine ungeheure Hitze ausging. Ihre hellbraunen Augen waren noch größer und leuchtender als sonst, und die Kranke schien eine gewaltige Kraft zu verströmen.
»Ich habe auf dich gewartet, mein schönes Mädchen«, sagte Anna leise. »Ich kann nicht von dieser Welt gehen, ohne mein Gewissen zu erleichtern. Der Prete hat mir die Sakramente gegeben, aber meinen Frieden kannst nur du mir geben. Ich habe dir etwas zu sagen. Dir allein.«
Giacomo stand auf, er kam Bella auf einmal so klein und zart vor, seine Hand strich zitternd über Annas Gesicht, dann ging er mit schleppenden Schritten zu den beiden Mädchen ans Feuer und bedeutete Gabriella, ihnen in den Garten zu folgen. Wenige Augenblicke später waren Mutter und Tochter allein.
»Vor beinahe elf Jahren kam ein Diener des Conte zu uns mit einem Neugeborenen. Er gab uns einen Beutel mit Silberlingen und ließ uns schwören, niemandem davon zu erzählen. Die Hebamme Maria muss uns ausgesucht haben, denn am Tag zuvor hatte sie mir beigestanden, als ich ein totes Kind zur Welt brachte. Sie wusste, ich würde dich in meinem Kummer annehmen. Das taten wir auch, doch wir ahnten nicht, wer das Mädchen war. Bis das Gerücht die Runde machte, der Graf habe sein eigenes Kind getötet.«
Anna suchte nach Bellas Hand.
»Ich liebe dich wie die Kinder,
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