Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
die ich geboren habe. Du warst mir vom ersten Moment an willkommen. Aber dein Vater … Giacomo … er ist ein stolzer Mann. Für ihn war es schwer. Er fühlte sich gedemütigt, weil er einen Bastard aufziehen sollte. Uns war bald klar, dass du das Kind der Gräfin bist und deshalb weit weg von Lucca aufwachsen solltest. Di Cavalli mag kein guter Mensch sein, aber so grausam, wie man es ihm nachsagt, ist er nicht. Er hat dir das Leben geschenkt. Wenn es auch nur das der Tochter eines Buttero ist …«
Anna stöhnte laut auf. Ihre Augen glänzten fiebrig.
»Verzeih Giacomo, dass er dich nicht so wie ein Vater lieben konnte. Er hat mit Gott gehadert, hat nie verstanden, dass ich seine Kinder verloren habe, schon vor der Zeit, und dass du als Bastard leben durftest – durch die Gnade des Conte. Und verzeih mir, dass ich dich anders behandelt habe als deine … Schwestern. Du warst – du bist – etwas ganz Besonderes für mich. Und ich weiß, du wirst deinen Weg gehen … Bella.«
»Wer weiß davon, Mutter?«
Das Mädchen war vollkommen verstört.
»Gabriella weiß es. Und der Conte weiß es auch. Sei vorsichtig, meine Kleine. Geh nicht an den Hof nach Lucca zurück. Mein Gefühl sagt mir, dass du dort in Gefahr bist … ich hätte dich nie dorthin schicken sollen, aber ich wollte, dass du glücklich bist bei Gianni und Gabriella.«
»Nicht nach Lucca zurück?«
Entsetzt blickte Bella in die Glut des Feuers. Nicht nach Lucca zurück. Gianni nie mehr sehen. Und Rocco. Und die Contessa mit den hellen Augen und dem Haar, so schwarz wie Rabengefieder, die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte, die sie so vieles fragen musste. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein.
»Geh jetzt, Bella. Ich bin müde. Lass mich ein wenig ausruhen.«
Anna schloss die Augen und schlief sofort ein.
Das Mädchen betrachtete die Frau, die sie ihre Mutter genannt hatte, solange sie denken konnte. Langsam löste sie ihre Hand aus der Annas und trat ins Freie. Wie konnte die Sonne so herrlich scheinen, wo dieser Tag nur Schlechtes brachte? Ihr Herz klopfte. Lucca. Wie aus weiter Ferne drang die Stimme ihres Vaters zu ihr, Gabriella nahm sie in den Arm, und gemeinsam mit den anderen setzten sie sich wieder an Annas Lager. Magdalena hörte die Stimmen ihrer Schwestern, sie hörte Giacomo und Gabriella weinen, aber sie empfand nichts. Nur Leere und Angst davor, dass es keinen Weg zurück geben würde.
Bei Anbruch der Nacht ging Anna von ihnen. Giacomo hatte sie bis zum letzten Moment in seinen Armen gehalten. Erschöpft trat er ins Freie hinaus und atmete tief ein. Wortlos drückte er seine beiden älteren Töchter an sich. Gabriella blickte ihn ernst an.
»Wo ist dein Sohn, Giacomo? Er braucht dich jetzt.«
Der Buttero erwiderte ihren Blick so voller Verzweiflung, dass die Alte erschrak.
»Bei seiner Amme. Und da soll er bleiben. Ich will ihn nicht. Er hat mein Leben zerstört.«
Die alte Frau nickte. Sie konnte jetzt nicht vernünftig mit Giacomo reden. Sein Schmerz war zu groß. Aber das Leben musste weitergehen. Vielleicht sollte sie eine Suppe kochen. Die Mädchen hatten den ganzen Tag nichts zu essen bekommen. Gabriella drehte sich um und ging zum Brunnen. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen. Die Mädchen … Sie fühlte, wie eine Ahnung einem heißen Messer gleich ihr Herz durchschnitt.
»Giacomo«, rief sie bang, »Giacomo – hast du Bella gesehen?«
Pietro Martini war der letzte Gast gewesen. Mario, der Wirt, sah ihm nach, wie ihn die Dunkelheit der Gassen verschluckte, dann schloss er die schwere Tür zu seiner Schenke und seufzte. Der Stadtvogt konnte saufen für drei, aber leider auch reden für drei, und wenn er redete, vergaß er jede Vorsicht. Mario hätte sich am liebsten das eine oder andere Mal die Ohren zugehalten, denn das, was er zu hören bekam nach dem vierten oder fünften Becher Wein, konnte ihn in Teufels Küche bringen. Er bekreuzigte sich. Dem Vogt fehlte ein Weib, so viel war sicher, eine ältliche Schwester daheim reichte eben nicht aus, und diese Tändelei mit dem Zigeunerweib würde eines Tages böse enden.
Der Wirt sammelte die leeren Holzbecher ein und gähnte herzhaft. Er würde jetzt zu Bett gehen. Morgen war Markttag, das versprach viele Gäste und viele Becher Wein. Behäbig stieg er die Treppe zu seiner Schlafstube hinauf. Kaum hatte er sein Nachthemd übergestreift, als die Hühner aufgeregt anfingen zu gackern. Ein Fuchs? Wohl kaum, aber vielleicht ein streunender Hund. Er würde
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