Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Himmel und seinen Heiligen. Massimo! Habe ich dich je um etwas gebeten?«
»Allerdings«, erwiderte der. »Es vergeht kaum ein Herbst, in dem du nicht mit einer Bitte in meiner Küche stehst.«
Hector wusste, der andere hatte Recht. Und er hatte keine Lust, seinen Freund anzulügen. Und überhaupt. Sie waren Tagesreisen fort von Lucca, Grosseto lag ebenso weit hinter ihnen. Er rang sich zu einer ehrlichen Antwort durch.
»Er hier … es ist ein Mädchen.«
»Und das ist das ganze Geheimnis?«
Massimo klopfte sich vor Lachen auf die Schenkel.
»Das sieht doch ein Blinder! Bist du dir sicher, dass DAS das ganze Geheimnis ist?«
Er japste und bekam vor Lachen kaum Luft.
»Lieber Hector«, sagte er und wandte sich zum Arbeitstisch, wo ein Krug mit Wein stand, »so dreckig kann die Kleine gar nicht sein, dass man nicht das Mädchen unter all dem Schmutz und Lehm erkennen würde.«
Er reichte dem Zigeuner einen Becher Wein, an Bella gerichtet sagte er scheinbar ohne jegliches Interesse:
»Da hinten steht ein Krug mit Milch. Nimm dir davon. Schließlich ist heute ein besonderer Tag.«
Dann stieß er mit Hector an, und gemeinsam traten die beiden in den Hof hinaus, wo sie sich auf dem Rand des Steinbrunnens niederließen. Den ganzen Tag über hatte er sich auf diesen Augenblick gefreut. Massimo liebte die Geschichten, die Hector ihm von seinen Reisen zwischen Siena, Lucca und Florenz mitbrachte. Hector hatte ein gutes Gespür dafür, die Spannung während des Erzählens immer mehr zu steigern, sodass der Koch regelrecht an seinen Lippen klebte. Der Besuch des Zigeuners gehörte seit Langem zu den schönsten Momenten, die das Jahr für Massimo bereithielt. Immer wenn der Sommer zu Ende ging, kam das Volk der Gaukler nach Siena, und Hector besuchte den Palazzo bei Ascarello, um Vieh zu kaufen für die kalte Jahreszeit. Und um von seinen Erlebnissen zu berichten.
»Hast du es wirklich sofort gesehen?«, wollte Hector wissen und leerte seinen Becher.
»Ihre Schönheit leuchtet durch allen Dreck der Welt hindurch«, erwiderte der Koch nachdenklich und legte seinem Freund die Hand auf die Schulter.
»Habt ihr sie etwa gestohlen? Sie sieht nicht aus wie eine Zigeunerin.«
»Wir haben sie aufgenommen. Auf ihren Kopf ist ein Preis ausgesetzt.«
Massimo nickte ernst, als ob er die Andeutungen verstünde, dabei drehte sich in seinem Kopf gerade alles. Und das machte nicht nur der Wein. Langsam stand er auf und holte den Krug aus der Küche, um seinem Freund und sich nachzuschenken.
»Was soll ich mit ihr machen?«, fragte er leise, als er sich wieder gesetzt hatte. »Kann sie irgendetwas?«
»Kochen«, war die lapidare Antwort. »Sie hat ihre Kindheit am Herd des Conte von Lucca zugebracht.«
»Du scherzt.«
Auf einmal war Massimo hellwach. Sein Körper spannte sich; entschieden setzte er den Becher ab.
»Mir ist nicht nach Scherzen zumute, alter Freund.« Hector leerte seinen Becher in einem Zug. »Bei uns kann sie nicht bleiben. Sie wird bald eine Frau sein. Und sie ist keine von den unseren. Sie wird immer fremd sein, und unsere Weiber werden sie verachten. Wir haben Habibi. Und das ist mehr als genug.«
Massimo nickte. Er kannte die schöne Zigeunerin. Er kannte sie sehr gut sogar. Sooft es ging, teilte er ihr Lager, wenn die Gaukler in Siena weilten, und schon heute Nacht würde er sie wieder spüren. Beim Gedanken daran lief ihm ein wohliger Schauer über den Rücken.
Während sie erneut ihre Becher füllten und sich über die Geschehnisse der letzten Monate austauschten, schaute sich Bella in der Küche um. Die hier war um einiges größer als die von Gianni. Aber es sah aus, als würde der Koch hier ganz allein arbeiten. Alles war ordentlich und sauber. Gedankenverloren ließ sie ihren Blick umherschweifen; sie hätte sich nicht träumen lassen, jemals wieder in einer so prächtigen Küche zu stehen. Vielleicht gab der Koch ihr die Möglichkeit, ihr Geschick unter Beweis zu stellen. Sie würde ihm vorschlagen, ein Mahl für ihn zu bereiten, und dann sollte er über ihr Schicksal urteilen.
Vom Hof drang Lachen zu ihr herein. Die beiden Männer verstanden sich offenkundig gut. Endlich, es wurde bereits dunkel, erschien erst der Schatten von Massimo in der Tür, dann kam er selbst hinterher. Seine Augen blickten sanft und freundlich. Draußen erklang Hufgetrappel. Fragend blickte sie den Koch an. Er nickte ihr zu.
»Hector mag keinen Abschied.«
Bella stand wie versteinert. Er hatte sie zurückgelassen,
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