Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
Vom Netzwerk:
perfekt geformt war. Ich fand das so absurd komisch, dass ich mir kaum das Lachen verkneifen konnte.
    »So, das wäre geschafft!«
    Wenn ich dann den Teller mit den ordentlich nebeneinander arrangierten Gyozas nahm, faltete der Professor seine Hände und nickte anerkennend: »Wie friedlich!«
    Nach Ablauf der »Goldenen Woche« am 6. Mai konnte ich deutlich erleben, welche Ängste der Professor ausstand, wenn sich etwas nicht zu einer Formel vereinheitlichen ließ und die Dinge aus dem Ruder liefen.
    Als ich am Montag nach den viertägigen Ferien wieder meinen Dienst antrat, erwartete mich im Gartenpavillon eine regelrechte Überschwemmung. Der Wasserhahn war undicht, das Waschbecken übergelaufen, und im Flur stand schon das Wasser. Nachdem ich beim Wasserwerk angerufen hatte, holte ich einen Klempner. Zugegeben, ich war etwas gereizt, aber der Professor reagierte mir gegenüber ziemlich zurückhaltend, vermutlich wegen meiner langen Abwesenheit. Sooft ich auch auf den Notizzettel mit meinem Porträt deutete, er saß nur bewegungslos da und reagierte überhaupt nicht. Bis zum Abend blieb er in diesem Zustand.
    Vielleicht mochte meine Gereiztheit dazu geführt haben, dass es zu dem Missgeschick kam. Jedenfalls traf den Professor keine Schuld.
    Kurz nachdem Root aus der Schule gekommen war, fiel mir auf, dass kein Salatöl mehr da war und ich welches besorgen musste. Natürlich hatte ich Bedenken gehabt, meinen Sohn mit dem Professor allein zu lassen, und nahm Root deshalb beiseite.
    »Ist das wirklich okay?« vergewisserte ich mich.
    »Wieso denn nicht?« erwiderte er unwirsch.
    Ich selbst konnte mein Zögern nicht so recht erklären. War es eine Vorahnung? Jedenfalls wollte ich dem Professor nicht die Rolle des Aufpassers aufdrängen.
    »Ich bin gleich wieder zurück. Du warst ja noch nie allein mit dem Professor, deshalb habe ich mich gefragt, ob das in Ordnung ist …«
    »Keine Sorge«, rief Root und rannte, ohne weiter darauf einzugehen, ins Arbeitszimmer, um dem Professor seine Hausaufgaben zu zeigen.
    Ich brauchte etwa zwanzig Minuten. Als ich wieder das Haus betrat, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich fand den Professor zusammengesunken auf dem Küchenfußboden. Er hielt Root in den Armen und bekam vor lauter Schluchzen kaum ein Wort hervor.
    »Root hat … Root hat … es ist etwas Schreckliches passiert …«, stammelte er bloß und zitterte am ganzen Körper.
    Je mehr er versuchte, mir eine Erklärung zu liefern, desto stärker bebten seine Lippen, während ihm der Schweiß über die Stirn lief. Ich befreite Root aus seinen Armen, um die beiden erst einmal voneinander zu trennen.
    Root weinte nicht, sondern verhielt sich ganz still, entweder um den Professor nicht noch mehr aufzuregen oder aus Angst, dass ich mit ihm schimpfen würde. Ich bemerkte, dass Roots Hand blutete und die Kleidung der beiden voller Flecken war, aber mir wurde sofort klar, dass das Verhalten des Professors in keinem Verhältnis zu der harmlosen Verletzung stand. Die Blutung ließ bereits nach, und Root litt offensichtlich keine Schmerzen. Ich nahm seine Hand und hielt sie unter fließendes Wasser, um die Wunde zu säubern. Dann brachte ich ihm ein Handtuch und sagte ihm, er solle es auf den Schnitt drücken.
    Währenddessen kauerte der Professor immer noch am Boden, so als würde Root weiterhin in seinen Armen liegen. Mir schien es angebracht, mich zunächst um ihn zu kümmern und dann Roots Verletzung zu verarzten.
    »Es ist alles in Ordnung«, versuchte ich ihn mit sanfter Stimme zu beruhigen und legte ihm vorsichtig die Hand auf den Rücken.
    »Wie konnte etwas derart Schreckliches nur passieren … der gute Junge …«
    »Es ist nur eine harmlose Schnittwunde. Root tut sich doch andauernd weh.«
    »Es ist allein meine Schuld. Root kann nichts dafür. Er wollte mir keine Angst einjagen … ganz still ist er dagesessen und hat vor sich hin geblutet.«
    »Niemand ist schuld daran.«
    »Doch, ich habe das zu verantworten. Ich wollte die Blutung stoppen, aber es ist mir nicht gelungen. Glauben Sie mir! Es blutete und blutete, Root ist ganz blass geworden … Ich hatte Angst, dass er aufhört zu atmen …« Er verbarg das Gesicht hinter seinen mit Blut befleckten Händen.
    »Bitte machen Sie sich keine Sorgen, Root ist nichts passiert. Hier, schauen Sie!«
    Ich strich dem Professor über den Rücken und war überrascht, was für kräftige Schultern er hatte.
    Aus dem Gestammel der beiden reimte ich mir zusammen, was

Weitere Kostenlose Bücher