Das Geheimnis der Götter
den Priesterinnen«, berichtete Isis. »Immerhin hat er versucht, meine Zuneigung zu gewinnen – wobei er allerdings keinerlei Erfolg hatte.«
»Glaubst du nicht, dass er dir das noch übel nimmt?«
»Da er ständig schlechter Laune zu sein scheint, lässt sich das nur schwer feststellen! Nicht einmal ausgeprägte Strenge und größte Achtung vor dem Gesetz können dieses vollkommene Fehlen jeglicher Freude rechtfertigen. Selbst der Kahle strahlt trotz seines schroffen Wesens Heiterkeit und Wärme aus.«
»Bega hat mir seine Unterstützung zugesichert. Er gab zu, dass meine Ankunft in Abydos und meine Nachforschungen hier zu ernsten Meinungsverschiedenheiten geführt haben, die allerdings inzwischen beseitigt seien.«
»Wollen wir es hoffen.«
»Deine misstrauische Einstellung macht mir Sorgen!«
»Du unterschätzt deine Macht, Iker. Erfahrene Ritualisten beugen sich dir, weil sie von ihr dazu gezwungen werden. Ihnen ist bewusst, dass sie dir trotz deiner Jugend nicht die Stirn bieten können. Die einen finden sich damit ab, die anderen sind enttäuscht und verbittert. Und vergiss nicht die Warnungen des Königs. Nichts, aber auch rein gar nichts darf unserer Wachsamkeit entgehen.«
»Ich glaube, ich muss Sobek um eine eingehende
Untersuchung von Gergus Vergangenheit und seinem Umgang bitten. Sollte er in irgendwelche schmutzigen Geschäfte verwickelt sein, werden wir es erfahren. Und Bega will ich meine besondere Aufmerksamkeit widmen. Bei der
Vorbereitung für die Ritualfeier der Mysterien, die sehr zeitaufwendig sind, werde ich ihn immer wieder um Rat fragen. Ist die Oberpriesterin der Hathor bereit, mich bei dieser Aufgabe zu unterstützen?«
»Die Regel schreibt es mir vor«, antwortete sie ihm mit einem Lächeln.
Seit ihrer Ankunft in Abydos fand die schöne Nephthys kaum Zeit zum Schlafen: die Teilnahme an den Riten ihrer Gemeinschaft, die Vorbereitung der verschiedenen Stoffe, die für die Feier der Mysterien unerlässlich waren, die Überprüfung der Ritualgegenstände gemeinsam mit den ständigen Priesterinnen… Die Tage vergingen wie im Flug, und sie erlebte unvergessliche Stunden – weit mehr, als sie sich erhofft hatte.
Ihre Zusammentreffen mit Isis kam einem Wunder gleich. Sie leitete sie, bewahrte sie vor Fehlern und unterstützte sie bei jeder Gelegenheit in ihrer Aufgabe. Zwischen den beiden Schwestern herrschte solches Einverständnis, dass sie kaum miteinander sprechen mussten.
Eben war Nephthys auf dem Weg in Sesostris’ Tempel der Millionen Jahre, um sich des einwandfreien Zustandes der Becher und Schalen zu vergewissern, von denen einige im Monat Khoiak verwendet würden. Sie wandte sich an den Aufseher über die zeitweiligen Besucher und verlangte nach dem zuständigen Mann.
Sie wurde in eine Kapelle geführt, in der ein groß
gewachsener, vornehmer und stolzer Mann mit seiner Arbeit beschäftigt war. Er hatte eine sonderbare Ausstrahlung, für die sich die junge Priesterin sofort empfänglich zeigte. Er war sorgfältig rasiert, roch angenehm, trug einen langen, makellosen Leinenschurz, und seine Bewegungen waren behutsam und vorsichtig.
Eben wurde er mit der Reinigung einer prächtigen Alabasterschale aus der Zeit der Ersten Dynastie fertig.
»Darf ich dich kurz stören?«
Der zeitweilige Besucher blickte Nephthys mit seinen erstaunlichen orangefarbenen Augen an.
»Ich stehe zu Euren Diensten«, sagte er mit sanfter Stimme.
»Wie viele dieser alten Meisterwerke befinden sich im Tempelschatz?«
»Rund hundert, die meisten davon aus Granit.«
»Und sind sie alle in einem guten Zustand?«
»Ja, in ausgezeichnetem Zustand.«
»Sie können also für ein Ritual verwendet werden?«
»Ja, bis auf einen Krug, den ich dem Steinmetzmeister gegeben habe, damit er ihn in Ordnung bringt. Bitte entschuldigt meine Neugier… Seid Ihr etwa die
Zwillingsschwester der Oberin der Hathor-Priesterinnen?«
Die junge Frau musste lächeln. »Nein, wir sehen uns nur so ähnlich. Mein Name ist Nephthys. Die Königin hat mir die große Ehre erwiesen, den Platz einer verstorbenen Ritualistin einnehmen zu dürfen.«
»Habt Ihr vorher in Memphis gelebt?«
»Ja, aber ich habe keine Sehnsucht nach dieser großartigen Stadt. Abydos erfüllt all meine Wünsche.«
»Ich kenne unsere Hauptstadt leider nicht«, log der Prophet.
»Ich stamme aus einem kleinen Dorf hier in der Gegend und habe immer nur davon geträumt, den Zwei Ländern dienen zu können.«
»Willst du ständiger Priester
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