Das Geheimnis der Herzen
angebracht waren. Sie federte dreimal, ehe sie zur Ruhe kam. Luft rauschte herein. Der frische, grüne Duft des Frühlings. Zum ersten Mal, seit ich ins Museum gekommen war, atmete ich tief durch.
»Ich habe heute Morgen das Tutorium gehalten.«
Ich erstarrte. »Du lieber Gott«, murmelte ich. Freitags kam immer mein bester Student. Ein Jude, wie Jakob. Er hieß Segall. Man ging davon aus, dass er dieses Jahr die Auszeichnung in Physiologie bekommen würde. »Das habe ich völlig vergessen. War er sehr aufgebracht?«
Jakob lachte verächtlich. »Nein. Er war eher besorgt, wenn Sie es genau wissen wollen. Sie kommen sonst nämlich nie zu spät.«
»Ich musste verschiedene Einkäufe erledigen. Ich habe eingelegte Früchte gekauft, außerdem Käse, Brot und Champagner.«
Mit ausdrucksloser Miene starrte Jakob vor sich hin. Erst da begriff ich. Er war nicht dabei gewesen, als ich die Einladung aussprach, weil er schon vorher gegangen war.
»Wir feiern«, sagte ich schnell.
»Sie und ich?«
Ich musste mich beherrschen, sonst hätte ich ihn jetzt gepackt und geschüttelt. »Stellen Sie sich nicht so dumm«, zischte ich ihn an. »Wegen Howlett natürlich.«
Jakob machte sich wieder an die Arbeit. Er trug dasselbe Hemd wie gestern, wie ich bemerkte. Und wie vorgestern. Er hatte sich weder rasiert noch gekämmt. »Sie können damit jetzt aufhören, Mr Hertzlich.« Ich schob die Präparate außer Reichweite und seine Notizen zur Seite. »Wir müssen aufräumen.«
»Ich bin kein besonders stolzer Mensch«, sagte er und schaute mich an. »Aber Einladungen für Schaumschläger standen nicht in dem Vertrag, den ich hier unterschrieben habe.« Er nahm seine Notizen und setzte sich an meinen Schreibtisch.
Ich holte meine Taschenuhr vor. Es war kurz vor eins. Mir blieb nicht mehr viel Zeit. Wenn Jakob Hertzlich nicht helfen wollte – gut, meinetwegen. Ich würde diese Aufsässigkeit allerdings nicht vergessen, vielleicht würde ich sogar mit Dekan Clarke darüber sprechen, aber daran war Jakob selbst schuld.
Ich stellte die Gläser, die zurzeit mit Etiketten versehen wurden, auf die Regale in der Nähe. Dabei ging ich nicht besonders systematisch vor. Ich musste mich jetzt vor allem beeilen. Wenn Howlett wieder fort war, würde ich den Prozess der Etikettierung noch einmal neu anfangen, aber im Moment musste ich sie einfach aus dem Weg räumen. Es war auch unbedingt nötig, den Tisch gründlich abzuwischen. Er war fleckig und stank nach Chemikalien, sehr unappetitlich, auch wenn Howlett noch so sehr an solch eine Umgebung gewöhnt war. Schlimm genug, dass er von herausgeschnittenen Organen umgeben sein würde, während er Delikatessen knabberte und Champagner trank.
Aus einer meiner Taschen holte ich ein gefaltetes Bettlaken, das ich als Tischdecke vorgesehen hatte. Es besaß keine Stickerei und war auch nicht mit Spitzen verziert, aber es war sauber und gestärkt und auf jeden Fall besser als die fleckige, zerkratzte Holzoberfläche des Arbeitstischs. Das Laken passte genau, und schon wirkte der ganze Raum viel festlicher.
Jakob beobachtete meine Aktivitäten aus dem Augenwinkel, und als ich mit einem Besen um seine Füße herum den Boden fegte, brummte er: »Es lohnt sich nicht.«
Ich kehrte unbeirrt weiter. Um mein Kleid zu schützen, trug ich einen Laborkittel, aber er half mir nicht, meine Gefühle zu beschützen. Es war demütigend, wie ein Dienstmädchen zu arbeiten und den Staub einzuatmen, während Jakob auf meinem Stuhl saß und zuschaute. Ich war schließlich seine Vorgesetzte! Das alles wäre ganz anders, wenn ich ein Mann wäre.
»Sie überanstrengen sich.«
Diese Unverfrorenheit! Nicht zu fassen. Seit über einer Stunde schuftete ich, und er hatte keinen Finger gerührt. »Ich müsste mich nicht so abrackern, wenn Sie mir helfen würden.«
Jakob zeigte keine Reaktion. »Warum machen Sie solche Umstände?«
»Zum Beispiel deswegen, weil Ihr Gehalt von ihm abhängt«, erinnerte ich ihn. »Genau wie mein eigenes.«
Wieder schnaubte er verächtlich. »Heißt das, es geht um Geld? Deshalb das ganze Theater?«
Ich warf den Besen beiseite. Staub wirbelte durch die Luft. »Natürlich nicht! Er ist ein guter Mensch, Jakob. Er ist uns gegenüber sehr großzügig, sehen Sie das denn nicht? Er hat mich die ganze Zeit mit seinem Geld unterstützt, während sonst niemand bereit war, auch nur zehn Cent zu geben. Er hat mir geholfen, Artikel zu veröffentlichen. Ohne ihn hätte ich auch nie diesen Preis
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