Das Geheimnis der Highlands
Blick klärte sich wieder auf.
Lydias liebevolles Gesicht wurde schwermütig, und eine Zeitlang schien es, als würde sie die Frage nicht beantworten. Adrienne konnte sehen, wie ihr die Erinnerungen durch den Kopf gingen, einige gute und einige offensichtlich schmerzvolle. »Mein Douglas war der zweite, der um meine Hand angehalten hatte, Adrienne.«
»Und der erste?« fragte Adrienne, ließ ihre Fingerspitzen durch das angenehm kühle Wasser des Brunnens gleiten und benetzte sich dann mit ein paar Tropfen die Schläfen.
»König James.«
»Ah! Ein abgewiesener Mann.«
»Entschieden abgewiesen. Und ganz und gar unversöhnlich. König James hatte sich in den Kopf gesetzt, mich zu besitzen, und ließ sich nicht umstimmen. Es war in meinem sechzehnten Sommer, und ich war zusammen mit deiner Mutter, Althea, bei Hofe. Wir beide bekamen in jener Saison viele Heiratsangebote, und James war einer meiner glühendsten Verehrer. Ich nahm ihn nicht allzu ernst, immerhin war er der König. Erst später erfuhr ich, wie ernst es ihm gewesen war. Aber es war zu spät. Ich hatte mir den Douglas schon in den Kopf gesetzt, als ich noch ein kleines Mädchen war. Und der Douglas, nun, sagen wir mal, es bedurfte keiner großen Mühen, ihn zu überreden.« Ihre grünen Augen leuchteten in zärtlichen Erinnerungen.
»Demnach haßt der König den Hawk, weil du seinen Heiratsantrag ausgeschlagen hast? Das ist unglaublich kindisch.«
»So ist er. James war von Geburt an verdorben. Er wurde endlos verhätschelt und verwöhnt und in seinen Zügellosigkeiten bestärkt. Als er ins heiratsfähige Alter kam, wurde er unaufhörlich angehimmelt. Er hatte in seinem ganzen Leben niemals das Wort Nein gehört und auch nicht vorgehabt, es jemals zu hören. Er fand es schlicht unbegreiflich, daß eine Frau sich entschließen würde, die Gattin eines einfachen Grafen zu werden, wenn sie die Königin von ganz Schottland hätte sein können.«
Adrienne dachte kurz an die Königshäuser ihrer Zeit. Wie unendlich viel mußte man opfern, um Prinzessin und eines Tages Königin zu werden. Lydia hatte eine weise Wahl getroffen, als sie aus Liebe geheiratet hatte.
»Was ihn wirklich ins Unglück stürzte, war, daß er dumm genug gewesen war, seinem Hof zu verkünden, daß ich seine Königin werden würde, selbst nachdem ich seine Heiratsanträge bei verschiedenen Anlässen ausgeschlagen hatte. Ich heiratete meinen Douglas am Tag nach seiner Proklamation, wobei wir nicht wußten, daß der König tatsächlich so weit gegangen war, seine Absichten öffentlich bekannt zu machen, bis die Nachricht Wochen später schließlich Dalkeith erreichte. Mein Gatte sagte, daß wir uns an jenem Tag einen mächtigen Feind geschaffen hätten. Aber ich denke, daß keiner von uns ahnte, wie wahrhaft rachsüchtig er sein würde. Ich vermute, daß es viele Dinge über seinen Dienst bei James gibt, über die Hawk niemals sprechen wird. Es geht das Gerücht, daß James gedroht hat, Dalkeith zu zerstören, damit Hawk seinen absonderlichen Befehlen gehorchte.« Ihre Stimme nahm einen vertraulichen Tonfall ein. »Hawk weiß nichts davon, aber ich selbst ersuchte um eine Audienz bei James, nachdem ich Geschichten über seine Knechtschaft vernommen hatte. Ich bat ihn, von seinem Anspruch auf meinen Sohn abzulassen.« Lydias Augen verdunkelten sich. »Er lachte undsagte mir, daß, wenn ich weise geheiratet hätte, der Hawk nun des Königs Sohn wäre anstatt des Königs Diener.«
Adrienne rieb sich den Nacken und kniff die Augen fest zusammen. Ihre Sehkraft war erschreckend getrübt, und ihr Kopf dröhnte. »Öffentliche Demütigung«, sagte sie schwerfällig. »Habe noch keinen Mann getroffen, der das gut wegstecken konnte.«
»Ich denke mir, das ist auch der Grund, weshalb König James dem Hawk befahl, wen er zu heiraten hatte«, fuhr Lydia leise fort. »Nur ein weiterer Schachzug, um seine Rache zu verlängern. Ich glaube, er fühlte sich fast betrogen durch den Tod meines Mannes, und ich habe mich oft gefragt, was er uns wohl angetan hätte, hätte mein Gatte länger gelebt. Was für ein verbitterter Mann ist er geworden.« Lydia schüttelte den Kopf. »Ich bin froh, daß du es bist, Adrienne. Der König würde es hassen, wenn er wüßte, wie bezaubernd und wie sehr un -verrückt du in Wirklichkeit bist. Du bist genau das, was der Hawk braucht. Kein schüchternes Mädchen oder eine affektierte Ziege, sondern eine Frau mit aufrichtigem Charakter und mit Tiefe.«
Adrienne errötete
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