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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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bemerkt zu haben. Doch ihre Füße schienen
ein Eigenleben zu führen und blieben fest auf dem Fleck stehen.
    »Guten Morgen«, rief Jeels schon von weitem. Seiner Stimme war die Freude anzuhören, sie zu treffen. Er reichte ihr die Hand und seine fragenden Augen wanderten über den Jagdanzug.
    Wemke zupfte verlegen an ihrer Jacke, zog sich dann aber mit einem Lächeln die Kapuze über den Kopf. »Hübsch, nicht wahr? Es fehlen nur noch die Ohren, dann sehe ich aus wie ein großer Hase. Aber eigentlich soll ich ein Seehund sein. Zumindest wünscht das die Frau Geheime. Nur dass ich heute ausnahmsweise ihrem Wunsch nicht Folge leisten brauche. Und daran ist ihr Herr Gemahl schuld.«
    Sie erzählte ihm die ganze Geschichte und Jeels stimmte in ihr Gelächter mit ein.
    »Das nenne ich Glück gehabt«, bemerkte er.
    »Ich muss die ganze Zeit an die armen Seehunde denken«, seufzte Wemke. »Es sind so schöne Tiere mit ihren klugen, schwarz glänzenden Augen. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn man mich zum Mitkommen gezwungen hätte. Mir ist jede Art von Jagd verhasst.«
    »Warte es lieber ab. Vielleicht ist die Aktion nicht von Erfolg gekrönt. Ich habe heute Morgen viele Vögel bei der Sandbank gesehen. Sie lassen sich vom Heranschleichen der Seehundjäger nicht täuschen und verscheuchen mit ihren Warnrufen und ihrem Geflatter vielleicht auch die Tiere.«
    Wemke seufzte. »Ach, ich will jetzt einfach nicht mehr an die Jagd denken. Ich bin hier an Land, und ein geschenkter Tag liegt vor mir. Was kann es Schöneres geben?«
    Jeels betrachtete sie lächelnd von der Seite. Wemke hatte die Kopfbedeckung wieder abgestreift. Sie trug das helle Haar zu einem Knoten hochgesteckt, doch einige widerspenstige Locken hatten sich gelöst. Der Wind spielte mit ihnen. Ihre
Wangen waren gerötet und ihre Augen leuchteten. Sie sah so jung und unbeschwert aus, wie sie sich fühlte.
    »Wenn du willst, dann zeige ich dir meine Lieblingsplätze auf der Insel«, schlug Jeels vor.
    Wemke nickte freudig und folgte ihm, ohne lange zu überlegen. Sie verdrängte die Weisung der Hofrätin, auf schnellstem Weg zur Badeanstalt zurückzukehren. Verdrängte auch den Gedanken an Mann und Kind. Dieser Tag gehörte ihr ganz alleine. Heute, dieses eine Mal, wollte sie nicht vernünftig sein!
    Lange schritten sie schweigend durch die Dünenlandschaft. Benno lief voraus. Er schien den Weg schon zu kennen.
    Schließlich blieb Jeels stehen und winkte Wemke zu sich heran. »Schau nur, ist das nicht fantastisch?«
    Wemke trat neben ihn. Der Blick reichte über den niedrigen Kamm der letzten Dünenkette bis zum Meer. Ab und zu wehte der Wind einige Halme des hohen Dünengrases ins Bild, aber sie hinderten nicht die Sicht.
    »Wunderschön!« Wemke wandte sich mit leuchtenden Augen zu Jeels um. »Dieser Anblick hat etwas von Unendlichkeit.«
    Jeels nickte. »Genau. Niemals zuvor im Leben habe ich solche Weite gekannt und nie derartiges Licht. Lange habe ich geglaubt, Wasser und Himmel voneinander trennen zu müssen. Meine Augen wollten Grenzen sehen. Doch wenn man zulässt, dass das Blau des Himmels sich sanft mit dem Grau des Meeres verbindet, dann erkennt man grenzenlose Weiten.«
    »Wenn man sich darauf einlässt, dann geschieht es fast wie von selbst.« Wemkes Stimme war so aufgeregt wie die eines Kindes. »Die Farben fließen ineinander, und plötzlich werden sie eins.«
    Jeels lächelte ihr zu. »Mit diesem Anblick beginne ich häufig den Tag. Und während ich noch mit dem Körper auf Erden
bin, die Füße im Sand, erspähen meine Augen die Grenzenlosigkeit.«
    Sie gingen weiter und wählten einen Weg zurück zum Strand. Wemke lief vor Jeels her. Er sah ihr nach und freute sich an ihren leichtfüßigen Bewegungen. Der Oberkörper bog und drehte sich sanft, die Schultern wiegten sich vor und zurück. Fein und zart wirkte sie in der Fülle des Lichts. Ihr Haar leuchtete golden in der Sonne. Der unscheinbar graue Seehundanzug sah an ihr sogar vorteilhaft aus; er unterstrich Wemkes eigene Farben.
    Am Strand wurden sie von Scharen grell schreiender Austernfischer mit leuchtend roten Schnäbeln begrüßt, die aufflogen und sie umkreisten. Die Vögel tauchten unter, kamen wieder hoch, übersprudelt von Seewasser, und schwammen, leicht wie Federn, auf den Wellen.
    Die Unbeschwertheit der Tiere schien Wemke anzustecken. Wie ein Kind tänzelte sie am Wasser entlang. Sie winkte Jeels zu, ihre Augen leuchteten.
    Er fühlte sich in ihrer Gegenwart wie

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