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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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gehst, dann bleibt mir nichts mehr, gar nichts. Wenn ich dich und Freya nicht mehr habe, dann …«
    Er beendete den Satz nicht, sondern bedeckte das Gesicht mit den Händen.
    Sein Schmerz zerriss ihr das Herz. Wemke trat auf ihn zu, wollte ihn in ihre Arme nehmen, doch er wehrte sie ab, scheuchte sie hinaus.
    Mit tränenüberströmtem Gesicht verließ Wemke das Zimmer.

33
    D ie Tage nach dem Weihnachtssturm verbrachten die Menschen in rastloser Unruhe. Sie arbeiteten bis zum Umfallen, schauten kaum zum Himmel hoch. Die Insulaner duckten sich, als sei dem Wetter nicht zu trauen.
    Und sie hatten Recht. Mal brauste der Wind stürmisch über die Insel hinweg, dann wieder war es totenstill. Nach der Weihnachtsflut war der Sturm abgeflaut und der Wasserstand zunächst gesunken, aber dann zog ein neues Gewitter auf. Blitze zuckten, Donner krachte und Eis fiel vom Himmel. Gegen Abend drehte der Wind, und erst am übernächsten Tag, dem 28. Dezember, fingen die Menschen an zu glauben, dass sich das Wetter endlich bessern würde. Aber am Nachmittag entlud sich ein neues Gewitter, und wieder stieg der Wasserstand. Selbst die alten Insulaner wussten nicht, was sie von alldem halten sollten.
    Da das Wetter unberechenbar war, wurde der Fährbetrieb zunächst nicht wieder aufgenommen. Wiltert musste im Turm ausharren, der Vogt wurde seinen Gefangenen nicht los. Notgedrungen kümmerte sich Jeels um den Verletzten. Mit ausdruckloser Miene ließ Wiltert es über sich ergehen. Seine Eltern taten alles, um die Schande, die der Sohn über sie gebracht hatte, abzuwerfen. Sie versteckten sich nicht, wie der Vogt es befürchtet hatte, sondern halfen Stunde um Stunde den vom Sturm Bedrohten.
    Doch so deutlich seine Hände auch zu den Menschen sprachen, so stumm blieb der Mund des Wirts. Bleich stand er
hinter seinem Tresen und niemand traute sich, ihn auf die Ereignisse anzusprechen. Die Insulaner zeigten ihr Mitgefühl, indem sie ihm freundschaftlich zunickten und, soweit das Wetter und ihre Arbeit es zuließen, den Gasthof aufsuchten. Er wurde zum Mittelpunkt des Insellebens. Man aß und trank dort gemeinsam und beratschlagte, was geschehen sollte. Welche Häuser als nächstes abgebrochen werden mussten. Wohin das Vieh geschafft werden sollte. Welche Wälle verstärkt und Durchbrüche versorgt werden mussten.
    Die Wirtin servierte mit rotgeränderten Augen und ohne große Worte Speisen und Getränke. Die Gäste taten, als sähen sie ihre Tränen nicht. Manch einer legte der Frau tröstend einen Arm um die Schulter, andere strichen ihr mitleidig über die Wange.
    »Sie werden darüber hinwegkommen«, sagte der Vogt. »Wenn nur der Wiltert erst von der Insel ist.«
    Der Wirt hatte Jeels aufgesucht und erboten, für die Kosten des Brandes aufzukommen. Es sei ihm eine Verpflichtung und würde sein Herz erleichtern. Und so nahm Jeels das Angebot dankend an. Auch bei den anderen Insulanern, die durch Brände Hab und Gut verloren hatten, sprach der Wirt vor. Die Insulaner empfingen ihn freundlich und mit offenen Armen. Sie waren der Meinung, er und seine Frau hätten genug gelitten und man dürfe dies nicht noch mehren.
    Der Neujahrstag näherte sich, doch die Menschen fieberten dem Jahreswechsel nicht wie sonst entgegen. In diesem Jahr waren keine Feierlichkeiten geplant. Sie würden sich nur hohl ausnehmen angesichts des Unglücks, das viele getroffen hatte. Und so warteten die Insulaner auf die Wiederaufnahme des Fährbetriebes. Entgegen besserem Wissen hofften sie immer noch auf die Hilfe der Regierung. Einige dachten sogar im Stillen daran, auf das Festland überzusiedeln, trauten sich aber nicht, die Gedanken preiszugeben.

    Am Strand sah es übel aus. Die zuvor flach auslaufenden Dünen waren nun an der Seeseite glatt und ragten steil in die Höhe. Es sah aus, als habe ein Riese mit seinem Brotmesser die Dünen vom Scheitel bis zum Fuß abgeschnitten. Wurzeln von Strandhafer, blauem Helm und anderem Gestrüpp lugten aus der Schnittkante und wehten traurig im Wind. Holz, das auf dem Wasser tanzend hinausgetrieben war, wurde nun zum Teil wieder angespült. Die Insulaner luden ihre Karren voll und brachten das Baumaterial in Sicherheit. Die Dünendurchbrüche wurden notdürftig wieder geflickt, doch die Menschen waren nicht mit dem Herzen bei der Sache. Die Angst trieb sie und das unbestimmte Wissen, dass der Kampf noch nicht zu Ende war. Die Bewohner des nördlichen Inselstrandes fingen an, ihre Habseligkeiten zu packen und brachten sie zu

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