Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Abenteuer wird mein steifer Rücken mich noch tagelang erinnern.«
»Ich danke Gott dafür, dass alles gut ausgegangen ist«, sagte Jeels ernst. »Bis zum Logierhaus werde ich dich noch begleiten.«
Schweigend schritten sie nebeneinander her, während Benno ihnen voraustrabte. Schließlich wies Wemke auf den Pfad, der zu den Unterkünften führte.
»Den Rest schaffe ich alleine. Ich danke dir«, sagte sie mit belegter Stimme. Sie hätte noch ewig so mit ihm am Strand entlangspazieren können. Der Schmerz war wie weggeblasen. Nur eine seltsame Steifheit spürte sie noch in ihren Gliedern.
»Gute Nacht!« Sie streckte Jeels die Hand entgegen.
Er nahm sie und hielt sie in der seinen. »Einen angenehmen Schlaf und gute Besserung wünsche ich dir.«
Wemke spürte, dass seine Finger klein und kräftig waren. Harte Schwielen drückten gegen ihre weiche Haut. Sie wartete und wusste doch nicht, worauf.
»Wenn du möchtest …« Er zögerte. »Vielleicht magst du mich einmal besuchen kommen. Ich bewohne das alte Voss-Haus. Dann kann ich mich davon überzeugen, dass es dir wieder gutgeht. Du kannst auch gerne das kleine Mädchen mitbringen.«
»Freya heißt sie«, sagte Wemke und strahlte beim Gedanken an das Kind. Doch dann fiel ihr Konrad ein. Auch Jeels schien sich erst jetzt wieder an ihren Mann zu erinnern, denn er vervollständigte seine Einladung schnell.
»Dein Mann ist natürlich auch herzlich eingeladen.«
Er ließ ihre Hand los, als habe er sich verbrannt, und wandte sich zum Gehen.
Wemke seufzte leise, während sie ihm nachsah. Diese Begegnung, das Gespräch mit ihm, kamen ihr wie ein Geschenk vor. Dieser Mann war so anders als alle, die sie bislang kennengelernt hatte. Er war klein und nicht unbedingt schön zu nennen. Doch es ging eine innere Wärme und Größe von ihm aus, die selbst sein Jähzorn bei der Begegnung mit ihrem Angreifer nicht schmälern konnte.
Wemkes Füße liefen wie von selbst, während ihre Gedanken
nur um Jeels kreisten. Bevor sie den Strand hinter sich ließ, wandte sie sich noch einmal um. Sie sah, wie Jeels die Hand hob und winkte. Als sie den Gruß erwiderte, durchlief Wemke ein warmer Schauer.
Wiltert hatte lange hinter der Düne gelegen und das Treiben am Strand beobachtet. Er sah, wie der Rothaarige das Mädchen umfasste. Dieser Teufel! Wilder Zorn stieg in ihm hoch. Und diese Hure! Ihm erlaubte sie, was er sich nicht hatte nehmen dürfen. Aber dafür würden die beiden büßen! Dies war nicht die einzige offene Rechnung, die er mit dem Fremden noch zu begleichen hatte.
Wiltert schlug mit der Faust in den Sand. Seine Angst war einer unbändigen Wut gewichen. Warum hatte er den Kampf gegen diesen Mann nicht aufgenommen? Er war doch kein Kind mehr, wie damals, das sich fürchten musste! Aber dieser Fremde hatte etwas Teuflisches an sich, das hatte er in seinen Augen gelesen. So wie seine Vorfahren. Er kannte diesen Ausdruck, hatte erlebt, wie der damalige Inselpastor unter den Schlägen von Tede van Voss fast gestorben wäre. Wiltert schloss die Augen und sah wieder die Narbe vor sich, die der Geistliche bei dem Kampf davongetragen hatte. Damals, nach Tedes Tod, hatten sie geglaubt, nun für immer von der Bestie befreit zu sein. Doch jetzt war durch Jeels van Voss der für immer gebannt geglaubte böse Geist seiner Vorfahren auf die Insel zurückgekehrt.
Wiltert fluchte. Die Jüngeren würden ihm nicht glauben. Aber die Älteren …
Er biss die Zähne zusammen. Schade, dass der alte Pastor nicht mehr lebte. In ihm hätte er einen Verbündeten gehabt. Er wusste, wie man mit Menschen vom Schlage des Fremden umging und wie man Weiber richtig anfasste. Wiltert hatte das als Knabe so manches Mal beobachten dürfen. Ihn überlief ein
wohliger Schauer bei der Erinnerung. Der Geistliche war sich nicht zu schade gewesen, die Weiber eigenhändig zu züchtigen. Er hatte es als seine Aufgabe angesehen, sich besonders der jungen Mädchen anzunehmen, die sich noch durch die Rute leiten ließen.
Wiltert lachte auf, als ihm bewusstwurde, dass er den Mann in Gedanken Pastor genannt hatte und nicht Vater. Denn das war er gewesen: sein Vater. Nicht dieser versoffene Wirt vom Ankerplatz. Wiltert wusste es besser. Hatte es immer gewusst. Es gab da diesen untrüglichen Beweis. Er trug das gleiche Zeichen wie der Gottesmann: ein sternförmiges, ungewöhnlich großes Muttermal auf dem rechten Oberarm.
Am Fenster hatte er den Pastor beim Umkleiden beobachtet und die Übereinstimmung
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