Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
sich daran, den morgendlichen Tee aufzugießen. In der Küche roch es nach frischem Brot. Ein einfaches, aber gutes Frühstück. Für den Hünen bedeutete das Leben an Jeels’ Seite einen ungeheuren Aufstieg. Er besaß endlich das, wovon er in den letzten Jahren geträumt hatte: ein Dach über dem Kopf, regelmäßiges Essen und eine Arbeit, die ihm Freude machte. Krischan kaute mit vollen Backen. Welch ein Leben! Er würde Jeels schon zeigen, was er wert war, damit das auch so blieb.
Jeels hing derweil seinen eigenen Gedanken nach. Schon beim Aufwachen hatte er als Erstes Wemkes Gesicht vor Augen gehabt, und nun überlegte er, wie es ihr gehen mochte. Hoffentlich ließ der Kerl sie zukünftig in Ruhe. Wie jedes Mal, wenn er an den Gastwirtssohn dachte, stieg Wut in ihm hoch. Zu anderen Zeiten wäre er einem Mann wie ihm aus dem Weg gegangen. Nichts hatte er gemein mit solchen Weiberhelden. Nun hatte er sich diesen Kerl auch noch zum Feind gemacht.
Und das nicht erst seit der gestrigen Begegnung. Was mochte sich daraus ergeben? Es blieb abzuwarten, ob und mit welchen Mitteln dieser Schuft ihnen das Leben schwermachen würde.
Jeels seufzte und zwang seine Aufmerksamkeit auf die Aufgabe des Tages: den Stall. Sicherlich war er zu Zeiten seiner Mutter noch genutzt worden.
»Sind die Tiere der Insulaner eigentlich schon immer auf den Anger im Südosten getrieben worden?«, fragte er Krischan.
Sein Freund nickte. »Ist die einzige Wiese hier«, nuschelte er mit vollem Mund. Er griff nach seiner Tasse und spülte die Brotkrumen hinunter. »Alle treiben ihr Vieh dorthin. Solange die Witterung gut ist, bleiben die Tiere im Freien. Die Obrigkeit wollte die Inselwiese schon vor mehr als dreißig Jahren auf einzelne Insulaner verteilen. Die glaubten, dass das Weideland nicht so versanden würde, wenn jeder sein eigenes Stück durch einen Wall sicherte. Aber die Leute hier haben einfach weitergemacht wie bisher. Und so ist der Anger bis heute für alle da. Das Hüten übernehmen die halbwüchsigen Kinder der Familien und auch die Versorgung mit Wasser. Warum fragst du? Wirst du noch eine Kuh kaufen oder Schafe?«
»Ich glaube nicht«, erwiderte Jeels. Gestern noch hatte er überlegt, die Insel zu verlassen. Die Entscheidung zu bleiben war gefallen, doch konkrete Pläne für die Zukunft zu schmieden, dazu war er noch nicht bereit.
»Mal abwarten, was ich für einen Eindruck vom Stall gewinne. Es lässt sich sicher noch etwas damit anfangen. Vielleicht könnte ich das Gebäude umbauen und vermieten«, meinte er vage.
»Mensch, Jeels, an wen willst du denn vermieten? Bei der Frau Gemeinen bist du doch unten durch!« Krischan betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Glaub nicht, dass sie dir einen einzigen Gast zuteilen wird. Und nur so läuft das hier, du weißt es ja!«
Der Wind hatte noch zugenommen und riss ihnen fast die Tür aus der Hand, als sie sich ans Werk machten. Eilig liefen die Männer über den Hof. Krischan ruckelte an der Stalltür, die sich knirschend öffnete. Geisterhafte Schatten tanzten über die steinernen Wände. Eine Maus huschte an ihnen vorbei und verschwand hinter einem Heuhaufen. In einer Ecke des Raumes stand ein großer Weidenkorb mit Holzscheiten. Zweige und Stroh lagen überall verteilt.
Langsam durchschritt Jeels den Raum. Er bot Platz für zwei Tiere und hatte einen abgetrennten Bereich für Schweine. Einen kleinen Auslauf für Hühner gab es auch. Vielleicht sollte er sich von Tedamöh einiges an Federvieh kaufen. Dann hätten sie morgens frische Eier.
Vorsichtig stieg Jeels über halbe Baumstämme, Schiffsplanken und anderes Holz. Vom Meer angeschwemmtes Brennmaterial, das zum Trocknen hier lagerte. Auf der Insel selbst gab es kaum Holz. Die Bäume, die hier wuchsen, blieben klein und nahmen oftmals bizarre Formen an. So wurde jedes kleinste Stück Brennbares von den Insulanern dankbar aufgesammelt.
»Verflucht noch eins, hier kommt man ja fast ums Leben!« Krischan wäre beinahe über den Rest eines Bootsmastes gestolpert. »Ich glaube, hier war seit Jahren kein Mensch mehr drin.«
»Diesen Bereich hat der Verwalter wohl ausgespart«, stimmte Jeels zu.
»Guck mal!« Krischan zog einen großen Gegenstand aus einer dunklen Ecke. »Hast du so was schon mal gesehen?« Unter einer alten Decke kam ein hölzerner Seehund auf Kufen hervor. Lustige Knopfaugen blickten ihnen freundlich entgegen. Um den Hals des Tieres hingen Bänder, an denen sich der Reiter festhalten konnte. Noch im Verfall war
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