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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christel Mouchard
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Tisch und beugte sich über ein Rechenheft.
    Nina näherte sich ihr leise.
    Auf den Seiten des Heftes reihten sich Dreiecke aneinander, die von Winkelhalbierenden durchkreuzt und mit Gradzahlen beschriftet waren. Immer wieder tunkte Tam einen langen Federhalter in ein kleines Fläschchen mit violetter Tinte und schrieb mit erstaunlicher Schnelligkeit die Zahlen auf.
    »Wie machst du das, dass du so schnell rechnen kannst?«, brummte Nina.
    Tam schreckte auf und ihre Hand rutschte über das Papier und hinterließ einen Tintenklecks.
    »Ooh!«, sagte sie.
    »Es tut mir leid«, entschuldigte sich Nina aufrichtig. »Ich habe dich erschreckt!«
    Und um es wiedergutzumachen, fügte sie mit einem schnellen Blick auf das Heft hinzu: »Glückwunsch, deine Rechnungen sind richtig!«
    Tam zog eine Grimasse, griff nach ihrem Löschpapier und trocknete vorsichtig den Klecks.
    »Gut gemacht, es ist fast nichts mehr zu sehen«, bekräftigte sie.
    »Man könnte meinen, es wäre eine Verzierung hinter dem Ergebnis.«
    »Ich habe das Ergebnis noch …«, begann Tam verärgert, dann aber änderte sie den Ton und setzte neu an: »Haben Sie einen Wunsch, Mademoiselle?«
    »Ich möchte einkaufen gehen.«
    »Maman!«
    Tam hatte über die Schulter nach hinten gerufen. In dieser Richtung stand eine Art große Hütte, deren Wände aus gekreuztem und geflochtenem Bambus waren. Das Dach stand über und bildete so einen Regenschutz. Auch dort explodierten die Kletterpflanzen förmlich: malvenfarbene, violette und orangene Blüten. Das Ganze war genauso fröhlich und sauber, wenn auch bescheidener als die Villa Henriette.
    »Wohnt ihr dort?«
    Tam brauchte nicht zu antworten, denn in diesem Moment erschien Chinh in derselben einfachen Kleidung auf der Schwelle.
    Tam sprach sie auf Annamitisch an. Chinh verneigte sich tief in Ninas Richtung.
    »Geben Sie meiner Mutter das Geld«, erklärte Tam. »Sie wird für Sie auf den Markt gehen.«
    »Nein, nein«, antwortete Nina verstimmt. »Ich habe lang genug hier herumgesessen. Außerdem möchte ich gern noch ein paar andere Dinge einkaufen.«
    Tam und ihre Mutter berieten sich eine Weile miteinander, dann wandte sich Tam zu Nina: »Es ist möglich. Sie können eine Rikscha nehmen und sich zum großen Geschäft bringen lassen, das von Franzosen geführt wird. Dort finden Sie dieselben Artikel wie in Frankreich, und …«
    »Gibt es nur ein Geschäft in Hué?«
    »Ein
französisches
Geschäft. Es gibt viele andere, jedoch auf dem annamitischen Markt. Die Händler sprechen dort kein Französisch. Sie werden nichts verstehen.«
    »Dann komm mit mir!«
    »Ich kann nicht, ich muss Geometrie zu Ende machen und dann habe ich noch ein Diktat vorzubereiten.«
    »Dann helfe ich dir, so geht es schneller.«
    Nina begleitete ihren Vorschlag mit einem breiten Lächeln. Sie war von ihrer Idee begeistert. So würde sie länger mit Tam zusammen sein.
    Warum lag ihr daran, sie bei sich zu haben? Nina hätte es nicht sagen können. Dieses Mädchen mit seiner vernünftigen Art, hinter der sich immer eine unterdrückte Wut ahnen ließ, zog sie an. Vielleicht war es genau diese innere Wut, die ihren Augen Feuer verlieh und Ninas Neugierde und Widerspruchsgeist erregte. Vielleicht hatte sie aber auch einfach nur Angst, allein zu sein. Auf jeden Fall würde sie sogar in Kauf nehmen, sich mir Rechtschreibung zu beschäftigen, nur um Tam länger an ihrer Seite zu haben – natürlich würde sie nicht erwähnen, dass sie in ihrem letzten Diktat zwanzig Fehler gehabt hatte.
    »Ich ziehe meinen
áo dài
an und setze einen Hut auf, dann komme ich«, sagte Tam und verschwand über die Schwelle in die Dunkelheit des kleinen Hauses.
    Ihre Mutter lächelte Nina strahlend an.
    »Tam begleiten Mademoiselle«, sagte sie in einem singenden Französisch. »Sie muss gehen zu chinesische Arzt, holen Medikamente für mich.«
    Dann verneigte sie sich tief. Ohne nachzudenken, imitierte Nina die Bewegung, was Chinh laut auflachen ließ.
    »Tochter wie Vater!«, stieß sie lachend hervor.
    Dann sagte sie mit einer Handbewegung in Richtung der Villa Henriette:
    »Sie nehmen Sonnenschirm wegen Sonne. Sonne sehr schlecht.«
    »Ja, natürlich, ich gehe und hole ihn.«
    Doch bevor Nina einen Schritt getan hatte, kam sie ihr zuvor. »Ich holen.«
    Kurz darauf kam sie mit Miss Mellys Sonnenschirm zurück. Tam erschien ebenfalls mit einem großen chinesischen Hut auf dem Kopf. Er war unter dem Kinn zusammengebunden und gab einen wunderbaren Rahmen für ihr

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