Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
Tränen in den Augen.
»Treuloser Kerl.«
Einige Minuten verstrichen. Plötzlich raschelten Blätter in ihrer Nähe. Ninas Herz machte einen Satz. Doch dann erschien das kleine, zerknitterte Gesicht wieder im Mondlicht.
»Kuirk!«
»Das ist kein sehr abwechslungsreiches Vokabular. Du wirst deine Abschlussprüfungen in der Schule nicht bestehen, das versichere ich dir.«
»Kuirk!«
Dieses Mal antwortete Nina ihm nicht. Der Ton des Tieres hatte sich verändert. Es klang jetzt eher wie eine Aufforderung. Als Nina auf ihn zuging, sprang er auf den nächsten Ast, und als sie ihm folgte, wurde ihr klar, dass er ihr auf diese Weise die Richtung zeigen wollte. Sie konzentrierte sich so sehr auf ihn, dass sie alle anderen Geräusche vergaß und sich auch an den klebrigen Lianen nicht störte, die sie alle paar Schritte zur Seite schieben musste. Immerhin kam sie jetzt weiter, und sie beschloss, sich einfach seiner Führung anzuvertrauen. Von Zeit zu Zeit erkannte sie an einer Spiegelung des Mondlichts auf dem Wasser zu ihrer Rechten, dass ihr Weg nicht allzu weit vom Fluss der Düfte entfernt verlief.
Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie so gegangen – und gestolpert – waren, noch, welche Distanz sie zurückgelegt hatten, als plötzlich der Makake an einer Liane hing und sich nicht mehr weiterbewegte, ganz in der Nähe des Wassers.
»Und jetzt?«, fragte Nina. »Bist du etwa müde? Ich bin es doch, die sich hier mühsam vorankämpft, während du mit einem Sprung zwei Meter hinter dich bringst.«
»Kuirk!«
Der Affe wollte ihr etwas sagen, das war deutlich. Er fixierte etwas auf dem Fluss, und Nina folgte seinem Blick. Dann sah sie, worauf er sie hinweisen wollte: Einen riesigen Korb, eingeschlossen von den ins Wasser reichenden Wurzeln eines Baumes. Nina ging darauf zu und beugte sich über das Wasser. Für einen einfachen Korb war das Gebilde zu groß – und dann fiel es ihr ein …
»Ein Boot. Das ist eines dieser Korb-Boote, von denen Tam gesprochen hat.«
Der Makake ließ sich von seinem Ast fallen und schaute Nina aus dem Boot heraus an.
»Willst du, dass ich komme? Ist er stabil genug für mich?«
»Kuirk!«
»Na, wenn du es sagst!«
Sie setzte einen Fuß hinein und spürte, wie der Korb sich bewegte und unter ihr wegglitt, während sie mit dem zweiten Fuß noch am Ufer stand. Schnell klammerte sie sich an einem der unteren Äste fest und schwang auch das zweite Bein in den schwimmenden Korb.
»Kuirk!«
»Ja, ja, ich habe verstanden: ›Achtung!‹ He! Ich bin kein Affe!« Sie zog eine Grimasse und fügte mit einem Anflug von Sehnsucht hinzu: »Ich bin eine rosa Stute …«
Sie sah plötzlich Tam vor sich. Wo war sie? Und Wenji? Hatten sie sich auf die Seite der Feinde geschlagen?
Es war nicht der Augenblick, sich in Vermutungen zu verlieren. Auf jeden Fall war sie nicht allein. Im Gegenteil, sie hatte einen ortskundigen und hilfreichen Begleiter.
In dem Boot befand sich nichts, weder Ruder noch sonst irgendetwas, doch nachdem sich Nina von den Wurzeln der Böschung befreit hatte, entdeckte sie, dass es nicht schwierig war, es voranzutreiben. Die ufernahe Gegenströmung trug das Boot in die richtige Richtung. Als wollte er sie ermutigen, hüpfte der kleinen Affe im Boot hin und her und gab anerkennende Laute von sich.
»Du bist wirklich ein pfiffiges Kerlchen, mein kleiner Schwimmer.
Ich taufe dich auf den Namen Croquignol. Gefällt dir das?«
»Kuirk!«
Wie schreibt man eine geheime Botschaft?
Erschöpft erreichte Nina den Pavillon beim Lotusteich.
Wie sie es gehofft hatte, fand sie dort etwas zu essen und Kleidung zum Wechseln. Croquignol mochte vor allem die Nougatstückchen mit Sesam, und während er sich die Zähne verklebte, setzte sich Nina vor den Altar von Kwan Yin, um nachzudenken.
Die Zukunft präsentierte sich ihr in einem dunklen Licht: Lang würde sie nicht hierbleiben können. Der Pavillon war ein bequemer Unterschlupf, doch er war für jedermann zugänglich und es gab keine abschließbaren Räume, die ihr als Versteck hätten dienen können. Sie betrachtete den Teich. Im Mondschein wirkten die Lotusblüten wie Perlen auf schwarzem Samt. Nina erinnerte sich, wie sie Wenji auf der anderen Seite des Wassers gesehen hatte. Sie war sich immer noch sicher, dass er es gewesen war – und dass er die Madonna aus Jade suchte. Könnte es letztlich nicht sogar ganz in seinem Sinne sein, wenn Nina in einem Waisenhaus untergebracht würde? Dann hätte auch er freie Hand.
Sie
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