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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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»Hä?«
    Dann erhob der Geistliche ein wenig die Stimme. Fandorins scharfes Gehör fing diese lauter gesprochenen Worte auf.
    Zuerst sagte Vater Vikenti: »Anweisung vom Bischof«. Dann: »Von Haus zu Haus mit der Ikone«. Und: »Sind wir uns nun einig oder nicht?«
    Die Greise hörten dem Geistlichen zu, dann tuschelten sie untereinander. Der Älteste nahm ein Stück Papier, schrieb etwas darauf, zeigte es dem Dechanten. Der verdrehte entrüstet die Augen zur Decke.
    Wieder tuschelten die Greise.
    Fandorin hatte nicht nur ein scharfes Gehör, sondern auch scharfe Augen. Er machte einen Schritt vorwärts und erkannte auf dem Papier einen Buchstaben mit einem Schnörkel darüber. So wurden ja wohl in der altslawischen Schrift die Zahlen geschrieben.
    Da fiel sein Blick auf den Diakon. Der guckte auch unverwandt auf seinen Vorgesetzten, doch im Gegensatz zu den anderen, die das seltsame Verhandeln mit Neugier beobachteten, sah er verwirrt und unglücklich aus. Sein längliches Gesicht war rot, die Augen hielt er gesenkt.
    Fandorin nahm den Diakon beim Ärmel, führte ihn sacht zur Seite.
    »Was ist das für ein H-Handel?«
    »Sie haben’s also auch bemerkt«, sagte Warnawa seufzend. »Der Vater Dechant ist gar zu habgierig. Eine Schande. Als er mich für würdig befand, an seiner Hirtenfahrt teilzunehmen, hab ich mich zuerst gefreut. Es war eine Ehre für mich. Dann aber hab ich begriffen, er hält mich für blöd und glaubt, sich vor mir nicht in Acht nehmen zu müssen, darum hat er mich ausgesucht. Wozu bereist er denn die Diözese? Um die Ketzer zum wahren Glauben zu bekehren, ihre Bethäuser zu schließen, die Ehepaare neu zu trauen. Das ist für die Altgläubigen schlimmer als Zwangsarbeit. Er redet mit dem Starosta oder mit den Alten, droht ihnen und lässt sich dann sein Nachgeben vergüten. Nicht gut ist das …«
    »Kommt drauf an, für wen«, sagte Fandorin und drehte sich nach dem geschäftstüchtigen Priester um.
    Der Diakon hellte sich auf.
    »Ich denke genauso. Im Nachbarkreis leben Altgläubige und Orthodoxe miteinander, dort nimmt der Dechant keine Zuwendungen an, ist ein unbestechlicher Eiferer. Wie der die Leute bedrängt! Etliche hat er schon ins Gefängnis gebracht! Da denk ich, Vater Vikenti ist doch viel menschlicher, denn Habsucht ist eine kleinere Sünde als Grausamkeit.«
    Die Verhandlungen wurden eben abgeschlossen, wohl zur Zufriedenheit der Beteiligten.
    »Also, ich komme später vorbei, bei jedem«, sagte der Dechant laut und segnete die Greise mit einem dreifingrig geschlagenen Kreuz.
    Die Buchmenschen spuckten wie auf Befehl über die linke Schulter, aber das focht den Geistlichen nicht an.
    Mit zufriedener Miene trat er zu Kochanowski.
    »Ihre Gefährten wollten mich nicht mitnehmen, doch jetzt sehen Sie, welchen Nutzen ich bringe. Wir haben ausgemacht, dass ich von Haus zu Haus gehe und mit den Alten unter vier Augen rede, einfühlsam. Und nebenbei« – er zwinkerte –, »frag ich nach der Familie. Wer wie heißt und wann geboren. Das schreibe ich auf und gebe es Ihnen.«
    Kochanowski nickte mit saurer Miene.
    »Nun, und du, arme Nonne, wie ist dein Befinden?«, fragte der Älteste mit dem wackelnden Kopf Kirilla. »Warum gibst du dich mit den Unreinen ab?«
    Die Pilgerin erhob sich, auf ihren Krummstab gestützt, und verneigte sich gemessen.
    »Der Reine wird durch die Unreinen nicht schmutzig, der Unreine durch die Reinen nicht sauber. Ich habe ein Gelübde getan, Väterchen. Mit verschlossenen Augen ziehe ich durch die Welt, um die Seele zu retten. Eine Führerin begleitet mich. Ich ernähre mich von Almosen, erzähle uralte Legenden. Im Winter ist es schwer ohne Augen, darum habe ich mich guten Menschen angeschlossen.«
    »Du willst Legenden erzählen?« Der Greis verzog das Gesicht. »Weibermärchen werden das sein, Histörchen.«
    »Ich kenne die Viten von allen Heiligen, auch fromme Aussprüche«, entgegnete die Märchenerzählerin.
    »Das ist ja noch schlimmer. Besser wär’s, du plapperst alberneMärchen daher, als heilige Bücher zu verdrehen. Von euch Bettlerinnen geschieht der alten Gnade nur Schaden.«
    Kirilla stellte den Krummstab beiseite, verneigte sich wieder demütig.
    »Kein Wort verdrehe ich, sondern erzähle alles so, wie es in den alten Büchern geschrieben steht. Glaube mir, Väterchen, du wirst es hören.«
    Die Buchmänner kamen in Bewegung. Zum ersten Mal ließ sich ein anderer als der Älteste vernehmen, ein spitznasiger Greis mit etwas lebhafterem

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