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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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doch blieb ihm
nichts anderes übrig, als dem hilflos am Boden zappelnden Tier
die Kehle aufzuschneiden. Viktoria wollte Dewei trösten, indem
sie ihn in die Arme schloss, aber sie wurde in diesem Moment selbst
von einem heftigen Weinkrampf erschüttert.
         »Hast
du das Tier denn so gemocht?«, fragte der Junge verwirrt.
         Viktoria
schüttelte nur den Kopf. Sie kämpfte zu sehr mit den
Tränen, um zu sprechen. Tief in ihr nagte Verwirrung über
die ungeahnten Wege, die ihr Leben genommen hatte, und Angst vor der
Zukunft. Sie musste endlich wieder nach Shanghai, um in der
internationalen Siedlung Boden unter den Füßen zu finden.
Doch nun hatten sie nicht einmal mehr ein Zugtier für den
Karren.
         Schließlich
stand Viktoria am Meeresufer und hielt Ausschau nach einem Schiff,
das sie nach Shanghai bringen würde, doch wurde ihr
verzweifeltes Winken ignoriert. Erst als der Wind den Hut von ihrem
Kopf fegte und ihr Haar zerzauste, verlangsamte ein kleiner,
schneidiger Klipper seine Fahrt und ein Boot wurde in ihre Richtung
geschickt. Viktoria schossen Tränen der Erleichterung in die
Augen, als sie die hochgewachsene Gestalt eines Mannes mit blondem
Haar und langer Nase erblickte, die durchs Wasser auf sie zu watete.
         »Ich
bin Joseph Andrews, Angestellter des Handelshauses Butterfield and
Swire«, stellte er sich sogleich vor. »Was ist mit Ihnen
geschehen? Sind Sie Missionarin, Miss … Miss …«
         »Virchow«,
erklärte Viktoria erfreut. »Ich bin Gouvernante, habe
meine Anstellung in Peking verloren und wollte nach Shanghai zurück«,
entwarf sie rasch eine Version ihrer Lage, die für einen
aufrechten englischen Gentleman annehmbar sein musste. »Unterwegs
wurde ich überfallen. Dieser Mann«, sie wies auf Jinzi,
»hat mich gerettet. Und der Junge hier ist …«
         »Ihr
Boy, ich verstehe«, wurde sie von Joseph Andrews unterbrochen,
der ihr bereits die Hand entgegenstreckte, um sie aufs Boot zu
führen. »Wir bringen Sie natürlich nach Shanghai,
Miss Virchow. Dieses Land ist kein Ort, den eine Lady allein bereisen
sollte. Es schadet dem Ansehen der europäischen Nationen, wenn
sie zum Opfer von … von Übergriffen wird. Ihre Diener
können natürlich mitkommen.«
         Viktoria
wurde unwohl. Sie wusste, dass sie klarstellen sollte, dass weder
Jinzi noch Dewei ihre Bediensteten waren, doch schien die Aussicht
auf das baldige Betreten einer Schiffskabine zu verlockend, um sie
durch eine längere Erklärung hinauszuzögern.
         Dewei
kletterte nach ihr ins Boot. Jinzi stand wie festgewachsen am Ufer.
Erst als der Junge ihm ein paar unverständliche Worte zugerufen
hatte, folgte er mit finsterer Miene.

    ******

         Der
Klipper transportierte Tee und Porzellan von Tianjin nach Shanghai.
Für Joseph Andrews, einen Mann von knapp zwanzig Jahren, war es
seine erste Reise durch chinesische Gewässer im Auftrag von
Butterfield and Swire. Er war, wie er Viktoria bereits im Boot
erzählte, ein entfernter Verwandter eines der Eigentümer.
Sein Vater, Anwalt in Portsmouth, hatte den von Schulbüchern
nicht gerade begeisterten Jungen nach Shanghai in die Lehre
geschickt. Sollte er sich bewähren, versicherte Joseph Andrews,
stand ihm eine glänzende Laufbahn in der Firma bevor.
         Er
schien gern von sich selbst zu erzählen. Bereits als sie auf das
Schiff gehievt wurden, fragte sich Viktoria, ob ihre Freude über
den Anblick des blondgelockten Jünglings nicht verfrüht
gewesen war, denn nun würde sie mehrere Tage lang sein Gerede
ertragen müssen. Er erwies sich allerdings als perfekter
Gentleman, indem er ihr seine persönliche Kabine überließ
und in die seines Kompradors umzog, eines jener Chinesen, die
westlichen Geschäftsleuten als Dolmetscher und Vermittler
dienten, wobei sie oft selbst ein kleines Vermögen anhäuften.
Der Komprador, so vermutete Viktoria, würde nun den nächsten
Rangniederen von seinem Schlafplatz verdrängen, sodass ihr
Auftauchen auf dem Schiff einiges Aufheben auslöste.
         Sie
überraschte Joseph Andrews durch ihr Beharren darauf, dass auch
Dewei und Jinzi in die Kabine ziehen sollten. Er schlug die
zahlreichen Schlafräume der anderen Chinesen auf dem Schiff als
angemessenere Unterkunft vor, doch Viktoria blieb eisern. Sie wollte
sich nicht ausmalen, wie Jinzi eine Verbannung in die
Dienstbotenräume aufnehmen würde. Es hätte wenig Sinn
gehabt, einem frisch aus England eingetroffenen Wichtigtuer
klarzumachen,

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