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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Blick.
         »Sehr
lange her. Ich habe viel vergessen.«
         Dann
verneigte sie sich und eilte wieder hinaus.
         »Die
mag dich«, meinte Dewei. »Aber die zweite Frau kann dich
nicht leiden. Pass auf, das ist eine Giftschlange.«
         »Das
ist mir auch aufgefallen«, sagte Viktoria grinsend. »Aber
ich werde schon mit ihr fertig.«
         Als
endlich Badewasser und Morgensuppe eintrafen, fühlte sie sich so
frisch und stark, dass sie dem neuen Leben mit Zuversicht
entgegensehen konnte.

    ******

         Lao
Tengfei erwartete sie in einem etwas größeren Holzhaus,
das weitaus prächtiger eingerichtet war als Viktorias neues
Zuhause. Er saß auf einem mit Schnitzereien verzierten Stuhl.
In dieser Haltung gelang es ihm, eindrucksvoller zu wirken, denn ein
sitzender Mann war stets kleiner als eine stehende Frau. Er hatte die
Knie energisch auseinander gepresst und eine stolze, beinahe grimmige
Miene aufgesetzt. Viktoria knickste mit leichtem Unbehagen. Sie wurde
auf einen Stuhl gewunken. Ein Diener schenkte den üblichen Tee
ein. Viktoria dachte mit Sehnsucht an ihre Kaffeemühle, die sie
endlich würde benutzen können. Allerdings schienen Chinesen
nicht die ihr vertraute Milch und Sahne zu kennen, sodass sie ihn
wohl würde schwarz trinken müssen. Nun nippte sie
pflichtbewusst an ihrer Teetasse. Ein durchaus angenehmer Geschmack
machte sich auf ihrem Gaumen breit, doch gleichzeitig blieben ein
paar Teeblätter auf ihrer Zunge haften. Ratlos, wie sie diese
entfernen sollte, ohne auf sehr undamenhafte Weise die Finger in den
Mund zu stecken, kaute Viktoria tapfer an ihnen herum, bis sie sich
schlucken ließen. Erstaunt beobachtete sie, wie der Mandarin
seine Untertasse auf die Tasse legte und durch einen schmalen Spalt
den Tee schlürfte, sodass nur reine Flüssigkeit in seinen
Mund gelangte. Sie erkannte, dass er ihr auf wortlose Weise hatte
zeigen wollen, wie es richtig zu machen war, und folgte seinem
Beispiel.
         »Ich
sehr glücklich, eine kluge Lehrerin zu haben in meine Haus«,
begann Lao Tengfei. Seine Stimme klang freundlich, widersprach
dadurch dem Ausdruck seines Gesichts. »Nur wenige Frauen aus …
aus ferne Land wollen leben unter Chinesen. Ich habe gesprochen mit
Missionsdamen. Aber sie schienen mir … sehr schlicht.«
         Viktoria
erinnerte sich an die vielen Miss Newtons in der Missionsstation.
Vermutlich hatte deren strenges, selbstgefälliges Wesen dem
Mandarin missfallen. Sie lächelte so offen wie möglich.
         »Es
freut mich sehr, dass Sie bereit sind, mich in Ihrem Haus
aufzunehmen«, sagte sie langsam und deutlich. »Es zeugt
von Klugheit, erfahren zu wollen, was Menschen in anderen Ländern
denken und tun.«
         Diese
Denkweise hatte ihr Vater ihr vermittelt. Lao Tengfei nickte
sichtlich zufrieden.
         »Sie
selbst sprechen ja bereits sehr gut Englisch«, beschönigte
Viktoria sogleich seine Sprachkenntnisse. Sein Wortschatz schien in
der Tat nicht schlecht. Sie musste sich nur an seine unklare
Aussprache gewöhnen. »Wo hatten Sie denn Unterricht?«
         »In
Zongli Yamen, wo jetzt werden gelehrt fremde Sprachen«,
erklärte er stolz. »Unser neuer Kaiser hat so
eingerichtet.«
         Viktoria
staunte. War es nicht eine Kaiserin, die sich darum bemühte,
westliches Wissen in China einzuführen? Aber die regierte nur im
Namen eines kleinen Jungen, wie ihr wieder einfiel. Warum hatten
Männer überall auf der Welt solche Schwierigkeiten, eine
Frau offen als Herrscherin zu bezeichnen?
         »Es
ist schön, dass Sie aus Deutschland«, fuhr Lao Tengfei zu
ihrem Staunen fort. »Engländer und Franzosen oft
unhöflich. Deutsche haben Manieren.«
         Obwohl
Viktoria den Grund für dieses Lob nicht begriff, war sie
durchaus erfreut. Allzu schlecht hatte sie sich also bisher nicht
benommen.
         »Ich
kenne deutschen Gesandten. Er will Sie bald treffen. Es gibt sicher
ein paar Dinge für sie zu bereden.«
         Viktoria
wusste nicht, was ein unbekannter Gesandter mit ihr besprechen
wollte, doch erleichterte es sie, einen Landsmann in der Nähe zu
wissen. Der Rest der Unterhaltung plätscherte gemächlich
dahin. Danach wurde Viktorias sehnlichster Wunsch erfüllt: Sie
hatte einen ganzen Tag nur für sich.

    ******

         Eine
Woche später bestieg Viktoria erneut die Sänfte, um in die
deutsche Gesandtschaft getragen zu werden. Diesmal schien das laute
Treiben der Stadt ihr eine willkommene Abwechslung zu der

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