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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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war. Sie war so vertieft in ihre Überlegungen, dass sie das Öffnen der
Tür erst bemerkte, als der Riese bereits im Raum stand. Die Axt im Gürtel, die
Pistole in der einen und den Lederriemen in der anderen Hand. Mit der Pistole
deutete der Riese ihr an, sich umzudrehen. Er wollte sie wieder an sich
fesseln. ›Und dann wirst du sterben‹, hallten die Worte seines Herrn in
Berninas Kopf wider.
    Es war ihre letzte Chance, ihre einzige Chance.
    Blitzschnell war ihre Bewegung, ohne jeglichen Ansatz. Sie stürzte
an seiner massigen Gestalt vorbei, auf die Tür zu, die erste der steinernen
Turmstufen fest im Blick.
    Doch genau damit hatte er gerechnet. Er ließ den Riemen fallen und
hatte Bernina kurz darauf gepackt. Finger wie aus Eisen umschlossen ihren Arm,
wirbelten ihren Körper einmal um die eigene Achse, und dann schleuderte er sie
zu Boden. Wiederum nur einen Moment später zog sich das Leder um ihr
Handgelenk.
    Bernina sah ihn an. Er hob die Waffe kurz an. Aufstehen, hieß das.
    Sie tat, was er wollte, und als sich ihre Blicke erneut trafen,
war ihr auf einmal, als hätte sich in seinen Augen etwas verändert, als würde
er sie aufmerksam mustern.
    Stufe für Stufe ging es durch den engen Turm nach unten. Der Mann
war dicht hinter ihr, seine Schritte im gleichen monotonen Takt wie ihre.
    Falkenberg hat dir nicht verziehen, sagte sich Bernina. Er ist
nicht auf die Forderungen des Grafen eingegangen.
    Noch eine Treppe, die nach unten führte, weiter nach unten als
beim letzten Mal. Die Dunkelheit und der Staub des Gebäudes legten sich wie eine
dumpfe Ahnung auf Berninas Schultern. Fieberhaft überlegte sie, welche Chance
ihr noch blieb. Ein einziges Wort hämmerte in ihrem Kopf. Flucht! Aber wie?
    Die Mündung der Pistole, dieser trichterförmige, harte Ring,
presste sich in ihren Rücken und dirigierte sie in ein Zimmer, das am Ende
eines Flurs lag. Der Graf war nicht zu sehen. Auch das war möglicherweise ein
Zeichen dafür, dass Berninas Schicksal besiegelt war.
    Das Zimmer war ziemlich dunkel. Da war nur
ein Fenster, davor ein schwerer Vorhang, halb zugezogen. Überall Gerümpel.
Tonscherben auf dem Boden, daneben lagen der Helm und der rostige Brustpanzer
einer alten Ritterrüstung. Eine große leere Tafel. Regale mit Büchern,
Kerzenständern und allerlei Gefäßen. Elegante Stühle mit hohen Lehnen, Truhen,
Weidenkörbe. Nur im Unterbewusstsein nahm Bernina die Einzelheiten auf.
    Flucht!, dachte sie noch immer.
    Doch sie sah keine Chance. Ein Ziehen am Lederriemen, sie blieb
stehen. Der Mann ließ den Riemen los, und das Leder baumelte lose an Berninas
Seite. Er ging an ihr vorbei, die Waffe fortwährend auf sie gerichtet. Tief
blickte er ihr in die Augen, wiederum mit diesem veränderten Ausdruck. Jede
Einzelheit ihres Gesichts schien er in sich aufzunehmen.
    »Genau, wie ich dachte«, sagte er. Auch seine Stimme klang
verändert.
    Bernina schwieg und starrte vor sich hin, auf den Boden, in dessen
dicker Staubschicht Abdrücke von den großen Füßen des Mannes zu sehen waren.
    »Du bist es«, meinte er leise, als spräche er zu sich selbst.
    Bernina war vollkommen verwirrt. Sie fühlte, wie die Angst in ihr
immer mächtiger, immer unberechenbarer wurde, und konnte kaum einem seiner
Worte folgen.
    Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie er nun den Arm ausstreckte
und den Vorhang des Fensters weit zurückzog. Sogleich fiel mehr Licht ein, ein
Fächer aus Helligkeit.
    Tief aus ihrem Innern erklang Berninas Stimme: »Wenn du mich töten
willst, dann ist es am besten, du zögerst es nicht noch weiter hinaus.«
    »Ja, der Graf hat mir befohlen, dich zu töten.«
    Fast war es, als würde jetzt schon alles Leben aus ihr weichen.
Sie fühlte sich so klein, so schwach, unendlich hilflos.
    »Dieser Oberst«, fuhr der Riese fort, »muss sehr böse auf dich
sein. Der Graf hat ihn aufgefordert hierherzukommen, um ihn zu treffen. Doch er
reagiert nicht darauf.«
    Bernina hatte kaum hingehört. Ihre Gedanken waren ein einziges
wildes Durcheinander. Hart presste sie ihre Lippen aufeinander.
    »Aber ich wollte unbedingt überprüfen«, sagte der Mann, »ob du es
bist. Und tatsächlich: Du bist es.«
    Er trat an sie heran und mit einer Fingerspitze drückte er ihr
Kinn nach oben. »Nun sieh doch wenigstens hin, wenn ich dich schon
hierherbringe.«
    Ihre Blicke verloren sich in dem Zimmer, flüchteten von einer Ecke
zur nächsten, bis sie plötzlich an einem Gemälde hängen blieben.
    Das Gemälde war groß. Es stand auf

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