Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
Vom Netzwerk:
Kriegsherren haben oft zu wenig Geld, um
ihren Armeen den Sold auszuzahlen. Oder sie wollen nicht zahlen, oder wie auch
immer es sein mag«, erklärte Anselmo angewidert. »Sie stellen ihren Soldaten
reiche Beute in den Ortschaften sogar in Aussicht. In vollem Bewusstsein der
Verwüstungen und Plünderungen, die darauf folgen. So drücken sie sich nicht nur
immer wieder um Soldzahlungen, es gelingt ihnen auch, Kampfeswillen und Gier zu
wecken. Besetzt das Dorf und euch gehört das Dorf.«
    »Wie entsetzlich.«
    »Weißt du, es ist so: Die Landleute müssen
die Soldaten nicht nur ernähren, sie werden auch rekrutiert und zum Bau von
Lagerhütten und Schanzgräben eingesetzt. Oder von Schutzwällen, wie du es
selbst gesehen hast. Das waren Soldaten dieses Landes, katholische Soldaten,
die Kaiser Ferdinand unterstützen.«
    »Dann sollten sie die Leute schützen.«
    »Wie gesagt, es handelt sich zwar um Truppen des Kaisers, aber die
verbreiten häufig ebenso viel Angst wie die Feinde aus fremden Gebieten. Die
kaiserliche Armee fordert Steuern von Städten und Klöstern, von Grafschaften
und Fürstentümern. Und sie holen sich diese Steuern auch mit Gewalt. Sie
zwingen die Leute auf viele Arten, ihnen zu helfen.«
    »Was weißt du noch über sie?«
    »Nur dass sie vor wenigen Tagen plötzlich aufgetaucht sind, die
Herrschaft übernahmen und sich in Ippenheim aufführten wie die wichtigsten
Männer der Welt. Sie betranken sich, aßen sich satt und zwangen die
Bevölkerung, noch mehr Vorkehrungen für einen möglichen Angriff zu treffen.
Außerdem haben sie merkwürdige Methoden, Soldaten aus der Bevölkerung
anzuwerben. Sie drohen und machen die Leute betrunken, damit sie ein Kreuz auf
irgendein Stück Papier machen.«
    »Und dieser Arnim von der Tauber? Ihn fürchten die Soldaten des
Kaisers?«
    »Ja, das tun sie. Er hat den Ruf, ein ganz
besonders fähiger Feldherr zu sein. Und er hat viele Männer bei sich. Deshalb
sieht Ippenheim auch so aus, wie du es heute vorfindest. Die Angst hat alles
und jeden im Griff. Wir sind früher oft hier durchgekommen. Es war ein Ort, an
dem immer viel gelacht wurde. Das ist vorbei.«
    »Und Arnim kämpft also gegen unseren Kaiser.«
    »Ja, er hat sich mit den Protestanten verbündet. Mit den Schweden.
Auch mit den Franzosen.«
    Bernina erinnerte sich an Schilderungen der Krähenfrau und meinte:
»Ich kann einfach nicht glauben, dass ein Krieg wegen des Glaubens, wegen Religion
geführt wird.« Sie schüttelte ihren Kopf. »Der Glaube sollte doch dazu da sein,
die Menschen zusammenzuführen.«
    »Anfangs wurde gewiss wegen des Glaubens gekämpft. Da standen sich
Armeen aus katholischen und protestantischen Soldaten gegenüber. Aber wenn du
mich fragst, ist das schon lange ein Krieg der Gulden geworden. Es geht ums
Geld. Fürsten, Barone, was immer sie sein mögen, jedenfalls sogenannte edle
Herren, stellen große Heere auf, um sich durch Siege in der Schlacht vom Kaiser
oder seinen Gegnern reich entlohnen zu lassen. Und der kleine Söldner bietet
sich ebenfalls dem an, der am meisten bezahlt. Nach einer Niederlage wechselt
er einfach zum Sieger über.«
    Nebeneinander gingen sie weiter durch die leeren Straßen. An den
Fenstern vieler Häuser waren die Läden geschlossen, durch deren Ritze überall
Augen nach draußen zu spähen schienen. Sie passierten ein wunderschönes
Fachwerkhaus, dann eine Schenke, die geradezu verbarrikadiert worden war,
ebenso wie ein mehrstöckiger Bau, bei dem es sich, wie Anselmo knapp erklärte,
um das Rathaus handelte. Anschließend kamen sie an einem großen, vornehm
wirkenden Gebäude vorbei, das von einer Mauer umschlossen wurde. Durch ein
geöffnetes Tor in der Mauer sahen sie das Haus mit seinen Erkern und eine von
großer Steinmetzkunst verzierte Giebelseite, auf deren Spitze die Statue eines
Ritters thronte.
    In all den Jahren, während denen Bernina in der Stille der Wälder
gelebt hatte, war oft ein Sehnen in ihr gewesen, nach Geräuschen, nach Lärm,
nach menschlichen Stimmen, die sich unterhielten und miteinander lachten. Dass
ihr erster Besuch in einer größeren Stadt von einer bedrohlichen Lautlosigkeit
begleitet wurde, hätte sie nie erwartet.
    Hier in Ippenheim sah sie das Gesicht des
Krieges zum ersten Mal ganz unmittelbar. Und eine dumpfe Ahnung sagte ihr, dass
sie es jetzt nicht so schnell wieder loswerden würde, ja dass sie das wahre
Ausmaß noch nicht einmal annähernd erfasst hatte.
    »Du siehst so traurig aus«, drang Anselmos Stimme

Weitere Kostenlose Bücher