Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
kein Freund großer Worte sein, aber ich bin ein ziemlich guter Beobachter. Und dass es zwischen deiner Mutter und dir im Augenblick nicht rund läuft, würde selbst ein Blinder bemerken. Also, was ist los?«
»Ich hasse sie!«, brach es aus ihr heraus – doch sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da wusste sie auch schon, dass es nicht stimmte. Und auch Hal schien ihr das nicht so recht abzukaufen.
Er schüttelte den Kopf. »Was ist passiert, dass du so wütend auf sie bist? Was hat sie getan?«
Kim atmete tief durch. Schon wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen, doch sie blinzelte sie tapfer weg. »Sie hat meinen Dad ins Gefängnis gebracht«, erwiderte sie dann, und es war, als würde ihr eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen. Es hatte bisher niemanden gegeben, mit dem sie darüber reden konnte. Ihre Mutter ahnte nicht, dass sie Bescheid wusste, und Will wollte sie nicht in diese Sache mit reinziehen. Es tat so gut, endlich jemandem ihr Herz ausschütten zu können! »Meine Mom hat meinen Dad angezeigt, können Sie sich das vorstellen?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich meine, wie konnte sie das tun? Ganz egal, was er gemacht hat – er ist doch immer noch Wills und mein Dad! Sie hat ihn uns weggenommen! Sie hat unsere ganze Familie kaputt gemacht!«
Es war ein ungemein befreiendes Gefühl, all die Dinge, die ihr tagtäglich im Kopf herumgingen, einmal auszusprechen. Endlich konnte sie wieder ein bisschen freier atmen.
Und Hal schien sie nicht einmal wegen ihrer Worte zu verurteilen. Ganz im Gegenteil: Er nickte sogar langsam. »Verstehe … Darf ich dich etwas fragen, mein Mädchen?«
Kim, die eigentlich damit gerechnet hatte, dass Hal für ihre Mutter Partei ergreifen würde, nickte. »Klar.«
»Es gibt doch in Los Angeles sicher einen Jungen, für den du etwas übrig hast, oder?«
Sie dachte an Zack Loomis, doch es gelang ihr kaum, sich sein Gesicht in Erinnerung zu rufen. Immer wieder wurde es von den Zügen eines anderen Jungen überlagert. Eines Jungen, den Kim erst hier in Neuseeland kennengelernt hatte.
Das Gesicht von Lenny McMahon.
Sie nickte.
»Also schön«, fuhr Hal fort. »Dann stell dir bitte mal vor, du würdest plötzlich herausfinden, dass dieser Junge … sagen wir einmal, er klaut Autos und fährt damit Rennen.«
Störrisch reckte Kim, die genau wusste, worauf Hal hinauswollte, das Kinn. »Ich würde ihn jedenfalls nicht verraten und der Polizei ausliefern. Niemals!«
»Schön.« Hal lächelte hintergründig. »Und wenn du herausfinden würdest, dass dieser Junge deinen kleinen Bruder mit auf seine Spritztouren nehmen würde?«
»Was?« Irritiert schaute sie ihn an. »Was soll das denn jetzt?«
»Beantworte einfach meine Frage. Würdest du es zulassen, dass dieser Junge, den du gern hast, Will in Gefahr bringt? Oder deine Mutter? Oder sonst irgendjemanden, den du liebst?«
»Verdammt, natürlich nicht!«, platzte Kim heraus. »Aber das ist doch was ganz anderes!«
»Ach ja? Ist es das wirklich?«
Kim wollte seine Worte widerlegen, ihm klarmachen, dass er falsch lag, doch sie konnte es nicht. Im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass ihre Mom diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen hatte. Das Problem war nur, dass sie es nicht glauben wollte . Sie brauchte jemanden, dem sie die Schuld geben konnte, und ihr Dad saß weit entfernt in einem kalifornischen Gefängnis.
»Ich sag dir was, mein Mädchen«, sprach Hal weiter. »Oft ist es gar nicht so einfach, ein Erwachsener zu sein und Verantwortung zu tragen. Mit den Entscheidungen, die man zu treffen hat, macht man sich nicht immer nur Freunde. Aber manchmal muss man einfach auf sein Gewissen hören, auch wenn es schwerfällt – so wie deine Mom …«
»Sie denken also, dass sie das Richtige getan hat?«
Hal schüttelte den Kopf. »Nein, Kleines, ich maße mir nicht an zu wissen, was richtig und was falsch ist. Aber ich bin sicher, dass deine Mutter das getan hat, was die Stimme ihres Gewissens ihr gesagt hat.«
Kim seufzte. Irgendwie fühlte sie sich erleichtert. Und auch wenn sie das Verhalten ihrer Mutter noch immer nicht gutheißen konnte – ein bisschen vermochte sie jetzt zu verstehen, warum sie so gehandelt hatte.
»Wie sieht’s aus?«, fragte Hal und knuffte Kim mit dem Ellbogen in die Seite. »Hilfst du mir, die Glassplitter aus meinem Wagen zu fegen?«
Verlegen senkte Kim den Blick. »Tut mir wirklich leid, das mit der Scheibe …«
»Halb so wild«, winkte Hal ab. »Eigentlich
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