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Das Geheimnis der Maurin

Das Geheimnis der Maurin

Titel: Das Geheimnis der Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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einen winzigen, einen ganz, ganz winzigen Moment lang die Augen zu schließen, aber gewiss nicht, um einzuschlafen und Musheer alleinzulassen, nur um ihn abzulegen, nur ganz kurz abzulegen … und schließlich bettete sie den Kopf auf seinen Arm. Nur kurz, nur ganz, ganz kurz, schwor sie wieder – und nickte ein.
    Chalida erwachte vom Zwitschern der Vögel im ersten Dämmerlicht. Erschrocken fuhr sie hoch. »Oh Gott, verzeih mir, ich wollte Musheer nicht alleinlassen!«
    Zitternd fuhr ihre Hand zu seiner Stirn. Sie war heiß, aber doch etwas weniger heiß als zuvor, was noch kein Zeichen von Genesung war, denn auch sie wusste, dass Fieber gegen Morgen immer sank. Da schoss noch ein anderer, weit erschreckender Gedanke in ihr hoch. Atmete Musheer überhaupt noch? Sosehr sie sich auch anstrengte, konnte sie nicht erkennen, ob sich seine Brust noch hob und senkte, und geriet nun vollends in Panik.
    Nahezu erstarrt vor Angst, näherte sie die Wange seinem Gesicht, um sich letzte Gewissheit zu verschaffen, ob der Atem des Lebens wirklich aus ihm gewichen war – und brach kurz darauf vor Erleichterung in Tränen aus.
     
    Auch die nächsten beiden Tage schwebte Musheer zwischen Leben und Tod. Zahra, der es allmählich etwas besserging, reinigte die Wunde wieder und wieder, musste noch einmal schwärendes Fleisch wegschneiden, aber dann, endlich, trat eine kleine, Hoffnung weckende Besserung ein: Musheers Fieber sank, und er kam so weit zu sich, dass er sogar ein wenig Brühe zu sich nehmen konnte. Chalida war zu diesem Zeitpunkt so entkräftet, dass Zahra ihr befahl, jetzt endlich aus Musheers Zimmer »zu verschwinden«, weil sie sie sonst von den Wachen hinaustragen lassen würde. Doch nicht diese Drohung war es, die Chalida zum Gehen veranlasste, sondern einzig und allein das gute Gefühl, dass Musheer nun wieder gesund werden würde und sie sich deswegen in der Tat ein paar Stunden – dringend benötigten – Schlaf gönnen durfte.
    »Aber nachher bleibe ich wieder bei ihm«, hauchte sie noch, ehe sie die Tür hinter sich zuzog und sich, wankend vor Übermüdung, zum Mädchenzimmer schleppte.
    Zahra und Tamu sahen ihr nach und lächelten einander zufrieden zu. So aufopfernd, wie sich Chalida in den letzten Tagen um Musheer gekümmert hatte, sollte wohl kein Anlass mehr zu der Sorge bestehen, dass sie der Heirat weiter ablehnend gegenüberstand.

VIII.
    Seidenfarm
10 . März 1500
    O bwohl Talavera sich so für die Aufständischen eingesetzt hatte, herrschte auch eine Woche später noch Ungewissheit, ob und wie die am Aufstand beteiligten Mauren bestraft werden würden. Man hörte, dass die Verhandlungen, die deswegen in der Alhambra geführt wurden, von Tag zu Tag an Hitzigkeit zunahmen – und sich damit immer mehr von einer alle Seiten zufriedenstellenden Lösung entfernten. Der Alcaide Granadas, der Conde de Tendilla, der bei den Kämpfen viele seiner tapfersten Soldaten verloren hatte, beharrte darauf, alle am Aufstand beteiligten Mauren hinzurichten, andere forderten nur deren Ausweisung, hohe Geldstrafen oder Zwangstaufen. Talavera war der Einzige, der die Mauren in Schutz nahm: Er bekniete seine Landsleute, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, zumal den Rechtschaffenen unter ihnen klar sein musste, dass Cisneros die Mauren bis aufs Blut gereizt hatte. Was eine wohlwollendere Beurteilung des Aufstands erschwerte, war die Tatsache, dass die Rebellion außerhalb Granadas noch nicht beendet war und sich sogar noch ausweitete. Daher waren viele Christen der Ansicht, in Granada müsse ein Exempel statuiert werden.
    Nur die wenigsten der Aufständischen wussten, ob ihr Name auf der Liste der an den Kämpfen Beteiligten auftauchte oder nicht – auch Abdarrahman und Musheer tappten im Dunkeln, und Zahra bangte mit ihnen und ein Stück weit auch um sich selbst, denn manche munkelten, dass selbst Ärzte und Pfleger, welche die Verwundeten versorgt hatten, mit auf die Anklagebank gesetzt würden. Immer wieder überlegte sie, ob sie nicht doch nach Granada reiten und Jaime bitten sollte, sich für Abdarrahman und Musheer einzusetzen – aber wann immer sie schon fast auf dem Weg zum Pferdestall war, trieb ihr Stolz sie zurück ins Wohnhaus. Genau wie Abdarrahman und Musheer und Tausende von Mauren war sie davon überzeugt, dass sich ihr Volk mit Fug und Recht gegen Cisneros aufgelehnt hatte, und sah nicht ein, sich dafür rechtfertigen oder gar entschuldigen zu müssen – auch und gerade vor Jaime nicht.

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