Das Geheimnis der Maurin
ihrem Ältesten schob Zahra ihren Teller zurück und erhob sich.
In der Empfangshalle klebten Chalida und Yayah noch immer jubelnd an Jaimes Brust. »Ihr erdrückt mich ja«, rief Jaime lachend, und Zahra sah, wie seine Augen vor Rührung schimmerten. Als er Zahra gewahr wurde, erstarb sein Lächeln schlagartig, und seine Miene wurde verschlossen, fast feindselig. Er küsste die Kinder auf die Stirn und machte sich behutsam von ihnen frei. »Seid so gut und lasst mich mit eurer Mutter allein.«
Yayah murrte zwar, trollte sich aber und hopste zurück in den Wohnraum, während Chalida von Zahra zu ihrem Vater und zurück zu Zahra sah. Zahra schluckte. Es war klar, dass sie ihrer Tochter fortan nichts mehr würde vormachen können: Nach dieser steifen, geradezu starren Begrüßung ihrer Eltern musste sie nur eins und eins zusammenzählen und wusste damit, dass es keineswegs die schwierige politische Lage und die viele Arbeit war, die ihren Vater so lange daran gehindert hatte, nach Hause zu kommen, wie Zahra es ihr und ihren Geschwistern glauben gemacht hatte. Nein, Zahras wegen war er dem Heim ferngeblieben …
Es tat Zahra weh zu sehen, wie sich Chalidas Miene schlagartig verschloss und sie ihre Hand in die ihres Vaters schob. Mit keinem Wort hätte sie besser zum Ausdruck bringen können, auf wessen Seite sie stand. Zahra schluckte. Zumindest nach den Gründen für die Trennung ihrer Eltern hätte ihre Tochter fragen können, bevor sie sich so klar auf Jaimes Seite schlug, fand Zahra, verübelte ihrer Tochter ihre Entscheidung aber nicht. Tamu hatte sie schließlich schon vor langer Zeit gewarnt, dass sie, wenn sie Jaime verlor, auch Chalida verlieren würde …
Zahra strich sich über die Stirn und wollte Chalida zum Gehen auffordern, brachte aber keinen Ton heraus. Schließlich war es Jaime, der seine Tochter mit einer beredten Kinnbewegung um ihre Rückkehr in den Wohnraum bat. Chalida atmete heftig aus, ließ seine Hand los und setzte sich in Bewegung. Als sie die Tür hinter sich schloss und damit die Stimmen der anderen mit einem Mal nicht mehr zu hören waren, fühlte sich Zahra so allein wie nur selten in ihrem Leben.
»Warum kommst du?«, wollte sie fragen, fand ihre Stimme aber noch immer nicht wieder.
Auch Jaime schwieg, wies dann aber in Richtung ihres Schlafgemachs, die Geste kam einem Befehl gleich. Trotzdem nickte Zahra und drehte sich um. In ihrem Schlafgemach blieb sie mitten im Raum stehen, das Gesicht von ihm abgewandt. Sie hörte, wie er die Tür hinter sich schloss und eine Öllampe auf den Boden stellte. Sie wappnete sich gegen das, was er zu sagen haben würde, spürte seine Wut, die mit den Wochen noch größer geworden zu sein schien. Sie spürte, dass er weiter auf sie zuging, und erwartete fast, dass er sie schlug – als er sie plötzlich an der Schulter packte, sie zu sich herumdrehte und sie voll Wut, aber auch voll heißhungriger Gier küsste. Ein Zittern durchlief Zahra, ein Schauder, eine wilde, unbezähmbare Lust. Ihre Finger gruben sich in Jaimes Rücken und seine Locken, und sie erwiderte seine Küsse mit der gleichen hitzigen Hast, die auch er ausströmte. Als er seine Hände unter ihre Tunika schob und sie auf ihre Liegestatt warf, entrang sich ihrer Kehle ein heiseres, sehnsüchtiges Stöhnen …
Drei Mal liebten sie sich mit der gleichen Hitze, der gleichen brodelnden Wut und Besessenheit, bis sie endlich ermattet und schweißgebadet nebeneinander liegen konnten, ohne sich weiter küssen und fühlen und umarmen zu müssen. Nur die Fingerspitzen von Jaimes rechter und Zahras linker Hand berührten einander noch, ihr Atem flachte im gleichen Rhythmus ab. Als er ganz ruhig geworden war, brummte Jaime leise gegen die von der Öllampe unregelmäßig erhellte Zimmerdecke: »Danke für die Nachricht, die du mir wegen Abdu in die Alhambra hast zukommen lassen. Ich nehme an, dass er inzwischen wieder ganz gesund ist?«
Zahra nickte, obwohl ihr bewusst war, dass Jaime sie nicht ansah. »Auch Musheer ist so weit in Ordnung. Allerdings hatte er einen schweren Rückfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte.« Sie bemühte sich, auch jetzt nicht zu Jaime hinzusehen, weil sie in seinen Augen nicht lesen wollte: Selbst schuld! Niemand hat ihn und Abdu gezwungen, bei den Aufständen mitzumischen.
Etliche Atemzüge später fragte er: »Seit … seit wann seid ihr wieder auf der Farm?«
Statt einer Antwort wandte Zahra ihm nun doch den Kopf zu, und Jaime tat automatisch
Weitere Kostenlose Bücher