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Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Geiges
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Neffen väterlich.
    Dann schob er ihn näher an das verhüllte Gebilde, zog mit einer dramatischen Geste das schwarze Tuch weg und enthüllte das Modell einer Kathedrale, schlank und filigran und in ihren Ausmaßen gleichzeitig so gewaltig, dass seinem Neffen vor Staunen der Mund offen stehen blieb.
    Konrad von Hochstaden hingegen geriet beim Anblick des Modells wie jedes Mal ins Schwärmen. Er ließ es eine Weile genussvoll auf sich wirken, dann hob er an: »Sieh her. Dies soll eine Kathedrale werden, wie sie die Menschheit noch nicht gesehen hat: der neue Dom zu Köln. Die endgültige und angemessene Heimstatt für den Schrein mit den Reliquien der Heiligen Drei Könige! Eine fünfschiffige Kathedrale in Form eines Kreuzes, rund 490 Fuß lang und 290 Fuß breit, mit Binnenchor, Chorumgang, Kapellenkranz, Querhaus, Langhaus und zwei Türmen im Westen. Das Gewölbe wird sich rund 145 Fuß in die Höhe erstrecken, so hoch hinauf wie bei keinem anderen Gewölbe bisher auf der Welt, das hat mir Meister Gerhard versprochen. Und die Türme … die Türme werden 532 Fuß hoch! Stell dir vor, 532 Fuß!«
    Die Augen des Erzbischofs leuchteten vor Stolz. Er breitete die Arme aus und blickte nach oben. Vor seinem inneren Auge sah er seine Kathedrale schon in voller Größe in den Himmel ragen.
    Schließlich packte er seinen Neffen an den Schultern und flüsterte: »Hilf mir beim Bau meines Gotteshauses. Eine wirklich namhafte Stiftung von dir, und die Sünden deines Vaters werden vergeben sein!«
    * * *
    Als Gero seinen Onkel und den Wohntrakt des Abtes verließ, war er über alle Maßen verwundert. So hatte er den Erzbischof noch nie erlebt. Es war, als hätte der Onkel, der sich sonst immer so verschlossen gab, seinem Neffen einen Blick in sein Innerstes gestattet. Was bezweckte er damit? Sein Onkel tat nie etwas ohne Berechnung, dessen war sich Gero sicher. Glaubte der Erzbischof, ihn für sein gewaltiges Vorhaben begeistern zu können? Oder war Gero dadurch in den exklusiven Zirkel derer aufgenommen, denen der Erzbischof vertraute? Der Gedanke machte Gero stolz, weil er sich zum ersten Mal von diesem mächtigen Mann ernst genommen fühlte. Auch wenn ihm bewusst wurde, dass er nur ein Mittel zu einem höheren Zweck war und dass sein Onkel alles, aber auch alles diesem Zweck opfern würde. Ob dieser Erkenntnis schauderte er. Aber gleichzeitig glaubte er nun zu wissen, was wirkliche Macht war und was sie bewirken konnte. Für den Erzbischof gab es auf Erden keine Grenzen. Und er, Gero, war sein Werkzeug.

VII
    I n der ersten Zeit war Bruder Thomas ungewöhnlich schweigsam. Er stand mit dem ersten Hahnenschrei auf, war peinlich auf Sauberkeit bedacht, rasierte sich zweimal täglich, weil er einen starken Bartwuchs hatte, und bat Berbelin, mit der er sich gut verstand, seinen Haarkranz ganz zu scheren, was sie umgehend und sorgfältig besorgte. Anfangs war Berbelin in seiner Gegenwart befangen, ja fast ängstlich, was wohl von seiner schieren Größe und Stärke herrührte. Bruder Thomas war ein Bär von einem Mann, nicht nur von der Gestalt, sondern auch vom Gemüt her, und konnte gegen Außenstehende und Andersdenkende sehr aufbrausend und grob werden, besonders wenn sie Anna gegenüber etwas Dummes taten oder sagten. Die Patienten wusste er immer richtig zu nehmen; streng, wenn sie nicht einsichtig oder hochmütig waren; einfühlsam, wenn er merkte, dass jemand nicht nur jammerte, sondern wirklich Schmerzen hatte und krank war; und liebevoll, wenn es sich um Kinder handelte. Bruder Thomas hatte eine natürliche Begabung, mit ihnen umzugehen. Er konnte sie ablenken, wenn Anna sie einer schmerzhaften Behandlung unterziehen musste, oder er brachte ihnen Spielzeug mit, das er in seiner freien Zeit schnitzte, kleine Tierfiguren aus Holz, die er erstaunlich lebensecht und stimmig bis ins kleinste Detail fertigen konnte. Anna staunte nicht schlecht, als er, während sie einem kleinen Jungen ein Geschwür herausschneiden wollte, plötzlich ein kleines hölzernes Reh hervorzog und den heulenden Patienten damit beruhigte.
    In den ersten Tagen trat er an ihrer Seite mehr als Famulus auf, wartete auf ihre Anweisungen und hielt den Mund. Brav trug er den Ranzen, wenn sie Hausbesuche machte, hielt ihr die verlangte Medizin oder ein benötigtes Instrument hin, und wenn ihr Handwerk es verlangte, dass bei ihrer Vorgehensweise mit Blut oder Schlimmerem zu rechnen war, zuckte er mit keiner Wimper und leistete die erforderliche

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