Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Scheune, wo das Heu für die Tiere lagerte. Sie nahm den bereitstehenden Besen, schob damit zuerst das Heu beiseite und kehrte dann den in den Boden eingelassenen Holzdeckel frei. Anna hob den Deckel hoch, und Bruder Thomas staunte, als er die Stufen sah, die sich im Dunkel verloren. Er flüsterte: »Ein Geheimgang. Wohin führt er?«
Vor der Scheune war Pferdegetrappel zu hören. Schnell schloss Anna die Luke wieder und schob mit dem Fuß Heu darüber, so dass sie nicht mehr zu sehen war.
Leise sagte sie: »Er verzweigt sich unter der Stadt. Es gibt zahlreiche Quer- und Seitengänge. Ich kenne aber nur einen Gang, der führt direkt zur Burg Landskron. Junker Chassim weiß auch davon, er hat ihn mir gezeigt.«
Sie sah wieder durch den Spalt nach draußen auf den Hof, dort stieg gerade die Gräfin mit Hilfe ihres Dieners vom Pferd. Anna wandte sich an Bruder Thomas: »Und jetzt sputet Euch und gebt Chassim Bescheid, dass seine Schwester kommt. Ich muss die Gräfin empfangen.«
Sie schob Bruder Thomas durch die Tür ins Haus und zupfte Tunika und Haare zurecht, bevor sie den Flügel des Scheunentors ein Stück aufschob und ins Sonnenlicht trat.
* * *
Berbelin hatte auf dem Markt reichlich Gemüse und Geflügel eingekauft. Ihr waren die Blicke der Leute nicht entgangen, die anfingen, hinter vorgehaltener Hand zu flüstern, und auffällig wegschauten, sobald sie in die Nähe kam. Offenbar war der bevorstehende Prozess gegen ihre Herrin schon in der ganzen Stadt bekannt. Berbelin beschloss, sich nicht weiter darum zu kümmern.
Auf dem Nachhauseweg kam sie durch eine enge Gasse und sah eine Gestalt in einem weiten Kapuzenumhang aus dunkler Wolle, wie ihn Mönche trugen, die sich halb in einen Hauseingang zurückgezogen hatte. Berbelin, mit den Gefahren einer belebten Stadt durchaus vertraut, wollte auf der gegenüberliegenden Seite vorbeigehen, aber die Gestalt trat im gleichen Moment auf die Gasse hinaus und versperrte ihr den Weg.
»Jungfer Berbelin?«, fragte eine dunkle, männliche Stimme.
Berbelin drückte ihren Korb mit dem Einkauf an die Brust und wollte sich vorbeidrängen, aber die Gestalt packte sie am Handgelenk und flüsterte ihr ins Ohr: »Hab keine Furcht. Ich will dir nichts Böses. Du bist die Magd der Medica, nicht wahr?«
Berbelin nickte, trotz der Beteuerung des Mannes hatte sie große Angst.
»Du bist stumm?«
Wieder nickte Berbelin.
»Dann stimmt es, was man über dich erzählt hat. Deine Medica hat verschiedenfarbige Augen?«
Erneut nickte Berbelin.
Der Fremde sah sich um, um sicherzugehen, dass sie allein waren, dann drückte er ihr ein Stück Pergament in die Hand und flüsterte: »Gib der Medica diese Nachricht. Aber achte darauf, dass niemand sonst sie liest. Sie ist nur für die Medica bestimmt, hast du verstanden?«
Berbelin nickte.
»Geh jetzt. Und verstecke die Nachricht vor den Wachen. Vielleicht durchsuchen sie dich.« Mit diesen Worten wandte sich der Fremde ab und suchte das Weite.
Berbelin hatte sein Gesicht nicht gesehen. Sie wartete, bis er um die nächste Ecke gebogen war, dann steckte sie das zusammengefaltete Pergament so tief es ging in den Ausschnitt und eilte nach Hause.
* * *
Als die Gräfin ihren Bruder zum ersten Mal seit dem Turnierunfall wieder munter und bester Dinge vorfand, konnte sie nicht anders, sie musste ihn einfach umarmen, so erleichtert war sie, ihn auf dem Weg der Genesung zu sehen. Aber trotz ihrer Freude war ihr elend zumute.
»Was ist mit dir?«, fragte Chassim, der ihre Niedergeschlagenheit gespürt haben musste.
Doch die Gräfin zögerte mit einer Antwort. Wie sollte sie ihrem Bruder in seinem Zustand die schrecklichen Neuigkeiten beibringen? Die Medica und Bruder Thomas standen mit verlegenen Gesichtern daneben.
Als niemand etwas sagte, wandte sich Chassim an Anna: »Was verschweigt Ihr mir? Nur heraus damit, ich bedarf keiner Schonung mehr. Also?«
Die Gräfin tauschte einen Blick mit Anna, und sobald diese zustimmend nickte, beschloss sie, ihrem Bruder reinen Wein einzuschenken, und erzählte ihm von den Plänen des Erzbischofs. Kaum war die Wahrheit heraus, herrschte betretenes Schweigen.
Chassim fuhr sich aufgewühlt durchs Haar. »Was gedenkt mein Schwager zu tun? Will er Däumchen drehen und zusehen, wie sie Anna den Garaus machen? Er kann das nicht zulassen! Ihr wisst alle, was das bedeutet!«
Niemand sprach ein Wort.
»Herr Gott im Himmel! Wenn ich nur aufstehen könnte und nicht dieses verfluchte Bein hätte! Mein Schwert
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