Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
sie sich am Seil entlang auf das Ufer zu. Dann konnte sie nicht mehr und ließ los. Doch sie war schon so nah am Ufer, dass sie von der Strömung auf die flache Böschung geschoben wurde, wo sie erschöpft im knietiefen Wasser liegen blieb.
Nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, kroch sie ganz ans Ufer und spuckte hustend Wasser aus. Dann sah sie hoch. Kamen da etwa schon die Schergen, um sie zu suchen? Nein, niemand konnte ahnen, dass sie den Sturz von der Steilwand überlebt hatte.
Trotz der Erschöpfung waren ihre Gedanken auf einmal ganz klar. Gott hatte ihr eine zweite Chance gegeben! Niemand wusste, dass sie noch lebte. Sie musste nur so schnell wie möglich das Weite suchen. Bevor Gero von Hochstaden womöglich noch auf die Idee kam, die Ufer flussabwärts nach ihrer angeschwemmten Leiche absuchen zu lassen.
Klatschnass, am ganzen Körper zitternd und mit den Zähnen klappernd, stand sie vor der verlassenen Hütte des Fährmanns. Anna betrat die Hütte zum zweiten Mal. Sie sah sich suchend um, entdeckte eine alte Decke, zog sie sich um die Schultern und machte sich davon.
Der Mond war kurz davor, am Horizont unterzugehen, als sie am nächsten Waldrand einen Feuerschein bemerkte. Sie beschloss, darauf zuzugehen, vielleicht fand sie doch noch einen Menschen, der ihr nicht sofort mit Abscheu und Feindseligkeit begegnete.
Als sie näher kam, vernahm sie Schreie und Kampfeslärm. Sie stockte und schlang die Decke so eng wie möglich um ihren Körper, damit die Glöckchen verstummten und niemand sie hören konnte. Sie schlich weiter. Hinter ein paar Büschen geduckt, sah sie im Schein des Lagerfeuers, dass sich auf einer kleinen Waldlichtung ein ungleicher Kampf auf Leben und Tod abspielte. Zwei Männer schlugen mit dicken Knüppeln auf einen dritten ein, der versuchte, sich mit seinem Schwert zu verteidigen. Am Rand des Lichtkegels war ein vierrädriger Wagen mit Plane abgestellt, davor grasten zwei angepflockte Zugpferde. Neben dem Wagen lag regungslos ein älterer Mann.
Aber dann wurde Annas Aufmerksamkeit vom Kampf der drei Männer in Anspruch genommen. Zwei von ihnen, wilde Haudegen mit ungeschorenen Bärten und zerlumpten Kleidern, umkreisten den dritten, einen Hünen von einem Mann, der geschickt immer wieder auswich, ab und zu einen Hieb anbrachte, aber schon aus mehreren Wunden blutete. Wie Wölfe lauerten die zwei Wegelagerer nur darauf, dass sich ihr angeschlagener Gegner eine entscheidende Blöße gab.
Anna wusste nicht, was sie tun sollte.
Der Schwertkämpfer machte einen überraschenden Ausfallschritt und streckte den kleineren Bärtigen mit einem gewaltigen Hieb nieder, worauf der größere wie eine Furie auf den Hünen losging. Der Schwertkämpfer konnte die Hiebe nur noch mit Müh und Not parieren. Der Angreifer schrie laut: »Verdammt, Otto, komm und hilf mir! Das Dreckschwein hat Klaus erschlagen!«
In diesem Moment zeigte sich ein dritter Wegelagerer auf dem Kutschbock des Planwagens. Er hatte offensichtlich nachgesehen, was an Brauchbarem im Wagen war, und sprang jetzt mit seinem Knüppel in der Hand herunter, um seinem Gefährten zu Hilfe zu eilen. Er stürmte von der Seite auf den großen Mann zu.
»Das bezahlst du mit deinem Leben!«, rief er und drang auf den sich heftig zur Wehr setzenden Hünen ein, der langsam zurückwich und verzweifelt versuchte, sich die Angreifer irgendwie vom Leib zu halten.
Aber zwei Mann waren zu viel für ihn. Während er einen Schlag parierte, war seine Flanke einen kurzen Moment ungedeckt. Der größere der beiden Angreifer nutzte die Gelegenheit blitzschnell und zog ihm den Knüppel mit aller Macht über den Kopf. Mit einem Aufschrei sackte der Hüne zusammen, und jetzt kannten seine Gegner kein Erbarmen mehr: Wie von Sinnen hieben sie auf den am Boden Liegenden ein, bis sie nicht mehr konnten und schließlich schwer schnaufend über ihrem Opfer standen wie Jäger über einem erlegten Keiler.
Der Große stieß ihn mit dem Fuß an.
»Der macht keinen Mucks mehr. Los, zieh ihm die Stiefel aus.«
Er kniete sich nieder und begann, die Taschen des Toten zu durchsuchen, während der andere schon an den Stiefeln zerrte.
In ihrem Versteck wand sich Anna vor Entsetzen. Sie musste etwas unternehmen, um den Verletzten zu helfen. Vorsichtig schlich sie sich ans Lagerfeuer und rieb sich das Gesicht mit Asche ein, um ihre verwegene Erscheinung zu verstärken. Prompt fingen die Glöckchen an ihrem Gewand an zu bimmeln. Die Wegelagerer ließen von dem Toten
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