Das Geheimnis der Perle
konnte nicht vorgeben, dass es ihr leidtat. Für Viola war der Tod ein Segen, und Archer hatte ihn verdient.
Ihr eigener Vater war durch das Wasser umgekommen, Archer durch das Feuer. Der Kreis hatte sich geschlossen.
Bryce kämpfte mit den Tränen. Mei wollte ihn trösten und legte die Arme um ihn. Er zuckte zusammen, als sie seine Brust berührte. Trotzdem zog er sie an sich. „May …“ Die Tränen, die er zurückhielt, klangen in seiner Stimme mit.
„Vielleicht … haben sie jetzt Frieden gefunden.“ Sie schmiegte sich an ihn, und er zog sie fest in seine Arme.
Und dann küsste sie ihn. Sie wusste, das war der einzige Trost für ihn. Er erwiderte ihren Kuss, vertiefte ihn. May konnte nur an das denken, was sie ihm sagen musste. Er sollte wissen, dass sie ihn liebte. Und wenn sie ihm dann die Wahrheit sagte, sollte er sich daran erinnern, dass sie ihn umseinetwillen geküsst hatte. Nicht wegen der Perle. Nicht aus Rache. Sondern nur aus Liebe.
„May …“ Er küsste ihre Wangen, ihr Kinn, ihre Stirn. „Versprich mir, dass du mich nicht auch verlässt.“
Obwohl er seine Meinung vielleicht bald ändern würde, stimmte sie leise zu. Sie würde nicht gehen, bis er sie dazu auffordern würde. Wenn er ihr vergeben könnte, würde sie bei ihm bleiben und ihm helfen, aus den verkohlten Ruinen ein neues Heim aufzubauen. Ein Zuhause, das es nie gewesen war.
Sanft zog er sie neben sich, in einer schüchtern jungenhaften Weise. „Bleib bei mir …“
Sie berührte seine Brust, seine Schulter, seine Hüften. Aus Zuneigung war Liebe geworden, und eine Welle der Hoffnung durchflutete sie. Bryce und sie konnten die Vergangenheit hinter sich lassen. Wenn sie ihm vergeben konnte, dass er Archers und Violas Sohn war, dann würde er ihr auch vergeben. Sie konnten ganz neu anfangen.
Mei ließ zu, dass er sie auszog, und stöhnte auf, als er ihre Brüste berührte. Und langsam vergaß sie die Vergangenheit, die Zukunft, all die Widrigkeiten, denen sie sich noch stellen mussten. Sie schenkte sich ihm ganz. Und in diesem Moment gab es nichts mehr, das zwischen ihnen stand.
Mei lag neben Bryce. Er atmete schwer. Sie wusste, dass sie aufstehen müsste, um Frühstück für die Arbeiter zu machen, doch sie blieb liegen. Neben dem Mann, den sie liebte.
Von irgendwo her hörte sie den merkwürdigen Ruf eines Vogels, der einem Hundebellen so ähnlich war. Und dann erinnerte sie sich an die Laube, die Bryce ihr einmal gezeigt hatte.
Plötzlich setzte sie sich auf. Sie erinnerte sich daran, was Bryce ihr über den Vogel erzählt hatte: Das Männchen baute die Laube und schmückte sie dann mit all dem aus, was eran Hellem, Schimmerndem finden konnte. Muscheln, kleine Knochen.
Eine Perle?
Einen Moment glaubte sie, verrückt geworden zu sein, so wie Viola. Würde sie weiter nach der Perle suchen, wenn sie blieb? Und was würde sie tun, wenn sie sie gefunden hatte?
Was war mit Thomas?
Sie könnte weiterschlafen oder mit den Vorbereitungen für das Frühstück beginnen.
Aber sie musste sich der Wahrheit stellen.
Mei folgte dem Weg, den sie mit Bryce gegangen war, während sie sich im Stillen selbst verhöhnte. In der Laube wartete keine Perle auf sie. Die Perle war verschwunden, für immer.
„Bryce.“ Sie lächelte nicht, als sie seinen Namen sagt. Sie wusste, dass sie dabei war, ihn zu verlassen.
Schließlich kam sie zu dem Pfad, der von Gestrüpp gesäumt war. Alles drehte sich in ihrem Kopf, ohne dass sie bestimmen konnte, worauf sich ihre Hoffnung richtete.
Schließlich kämpfte sie sich durch das Gestrüpp und fand das große Nest. Im Tageslicht war es größer und komplizierter gebaut, als sie es in Erinnerung hatte.
Und obwohl eine Stimme in ihr schrie, umzukehren, stellte sie sich schließlich auf die Zehenspitzen und lugte hinein. Die Perle, für die ihr Vater gestorben war, lag schimmernd am Eingang.
Als hätte der Vogel gewusst, dass ihr keine Frau widerstehen konnte.
„Natürlich habe ich die Perle genommen“, sagte Mei, die mit Liana und Cullen in ihrem Wohnzimmer des kleinen Apartments in San Francisco saß. „Als ich sie in der Hand hielt, habe ich Thomas’ Gesicht darin gesehen. Ich wusste, dass ich sie nicht für mich allein behalten, sondern zu ihm nach Kalifornienbringen würde. Das hätte meine Mutter von mir erwartet. Dein Großvater schlief immer noch, Cullen, als ich später am Morgen mit Henry davonritt. Ich habe Bryce nie wiedergesehen.“
Liana blinzelte ihre Tränen zurück. Doch
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