Das Geheimnis der Perle
mit einigen Studenten. Obwohl sie das Geld nicht brauchte, nahm sie einen Job in einem Buchladen an, um ihre Tage sinnvoll auszufüllen. Das Baby in ihr wurde größer, genauso wie ihr Freundeskreis. Die schüchterne junge Frau, die sich Nancy Starke nannte, war immer gut, wenn jemand Geld oder ein offenes Ohr brauchte. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Hope sich angenommen.
Die Geburt ihrer Tochter war ein Grund zum Feiern. Wäre es ein Junge geworden, hätte Hope vielleicht Thomas in ihm gesehen. Aber das winzige Mädchen mit dem schwarzen Haarbüschel sah weder ihrer Mutter noch ihrem Vater ähnlich. Sie war ein Produkt ihrer eurasischen Vorfahren und trug von allen nur das Beste in sich. Hope benannte Liana nach Thomas’ Mutter Lian, die ihr einen Weg gezeigt hatte, ihre Tochter zu beschützen.
Liana wuchs inmitten von Hopes Freunden auf, die mit ihr spielten und sie dann sich selbst überließen, wenn sie müde waren. Das neue Leben, das Hope mit so viel Energie begonnen hatte, stellte sich nicht als das heraus, was sie sich vorgestellt hatte. Es wurde sehr viel schwieriger, vor allem, als Drogen bei den Freunden Einzug hielten und schließlich auch bei ihr selbst.
Als Liana alt genug war, um ihre Umgebung bewusst wahrzunehmen, war Hope schon ständig auf Drogen. Den Job im Buchladen hatte sie aufgegeben, als Liana noch in den Windeln lag. Statt zu arbeiten, war sie mit ihren Freunden und ihrer kleinen Tochter durch New England gereist, auf der Suche nach Land, auf dem sie als Kommune leben konnten. „Nancy“ hatte versprochen, die Rechnungen zu zahlen, wenn alle anderen sich um die anfallenden Arbeiten auf dem Feld und im Garten kümmerten. Doch die Stadtkinder,mit nichts als Idealismus im Gepäck, hatten bald genug von der Plackerei, die notwendig war, um sich auf dem felsigen Ackerland etwas aufzubauen. Einer nach dem anderen verschwand, nur Hope blieb, geschwächt durch ihren Drogenkonsum und durch eine Hypothek an das Land gebunden.
Mit drei Jahren lernte Liana, für sich selbst zu sorgen. Mit vier sorgte sie dann auch für Hope. Als sie fünf wurde, waren Hope und sie wieder auf der Straße unterwegs. Als Hope eines Abends klar genug im Kopf war, um zu bemerken, dass wieder einmal kein Essen da war, wurde ihr bewusst, dass sie Liana – blass und mit eingefallenen Wangen – verlieren würde, sollte jemand den Behörden davon erzählen.
Die nächsten Jahre versuchte sie, so gut wie möglich für Liana zu sorgen. Das kleine Mädchen wusste, dass ihre Mutter sie anbetete, aber es geschah nur selten, dass sie zweimal am gleichen Ort aufwachten oder dass sie zweimal den gleichen Mann in Hopes Bett sah. Sie lebten in Motels oder bei Leuten, die sie auf der Straße kennenlernten. Hope versprach, etwas zu suchen, wo sie sich niederlassen könnten, aber der richtige Platz schien nie dabei zu sein. Die vielen Schulen, die Liana besuchte, konnte sie schon bald nicht mehr zählen.
Als Liana sieben war, zogen sie in ein möbliertes Zimmer in einer kleinen Stadt im Staat New York. Ein Städtchen mit kleinen weißen Häusern, grasgrünem Weideland und Seen. Die alte Frau, die ihnen das Zimmer in dem heruntergekommenen Haus vermietet hatte, war freundlich wie eine Großmutter. Sie buk Plätzchen und half Liana bei den Hausaufgaben, während Hope Nächte und Tage durchschlief.
Dann, eines Tages, wachte Hope nicht mehr auf.
Später erfuhr Liana, dass ihre Mutter zu viele Tabletten eingenommen hatte, die sie leise von einer Welt erlöst hatten, in die sie nie richtig gepasst hatte. Auch wenn sie bezweifelte, dass Hope ihrem Leben bewusst ein Ende gesetzt hatte, war das Resultat das gleiche. Die freundliche Vermieterinhalf Liana dabei, ihre Mutter zu begraben und die nächsten Anverwandten ausfindig zu machen. Einen Monat später erschien dann Thomas Robeson in der Stadt.
Liana war gerade acht geworden, als Thomas in ihr Leben trat. Er war neunundsechzig, doch die Jahre hatten ihn nicht umgänglicher gemacht. Wo andere in seinem Alter ihre Zeit längst auf dem Golfplatz verbrachten, arbeitete Thomas an seiner nächsten Million. Zwei Jahre nach der Scheidung von Hope hatte er eine Frau geheiratet, die genauso rücksichtslos war wie er. Mit dieser Sammy Wesley hatte er noch mehr Reichtum angehäuft.
Thomas konnte kein Kind brauchen, besonders keines von Hope. Und vor allem kein Kind, dessen Äußeres sein lange gehütetes Geheimnis verraten würde. Doch da die Behörden einmal eingeschaltet waren, blieb ihm
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