Das Geheimnis der Puppe
fragen müssen, ob ich ihr dies oder das erzählen darf.«
»Bert meint es doch nur gut«, sagte ich. Und Laura nickte heftig mit zusammengepreßten Lippen.
»Natürlich, er meint es immer gut. Mit ihr! Ob er es mit mir jemals so gut gemeint hat, das möchte ich bezweifeln.«
Jetzt blieb sie vor dem Tisch stehen, die Arme sackten herab. Sie zwang sich ein verlegenes Lächeln ab.
»Es tut mir leid, Tom. Ich hatte mich so gefreut, aber ich hätte es wissen müssen. Es war immer so, und es wird immer so bleiben. Ich freue mich auf irgend etwas, und dann darf ich nicht einmal darüber reden. Manchmal habe ich mich direkt davor gefürchtet, mich auf irgend etwas zu freuen. Weißt du, daß ich sie manchmal gehaßt habe.«
Sie schaute mich mit einem schmerzlichen Lächeln an und fuhr fort:»Vati hat mir einmal erzählt, daß sie erst nach meiner Geburt so geworden ist. Er nannte das eine Schwangerschaftspsychose. Und ich habe mich ihr gegenüber so entsetzlich schuldig gefühlt.«
Laura schwieg sekundenlang, schloß die Augen dabei, dann sprach sie weiter, leise jetzt und beherrscht. Es war eine entsetzliche Auflistung.
»Ich war achtzehn, Tom, da saß sie immer noch jeden Abend an meinem Bett, hielt meine Hand und erzählte mir eine Geschichte zum Einschlafen. Und wenn sie hinausging, schloß sie die Tür hinter sich ab. Jede Nacht war ich eingesperrt, ich konnte nicht mal aufs Klo. Sie hat mir einen Nachttopf hingestellt. Bis Vati dann dafür gesorgt hat, daß ich einen zweiten Schlüssel bekam.«
Laura lachte einmal kurz auf.
»Heimlich natürlich. Und du kannst dir nicht vorstellen, welch eine elende Fummelei das war. Der Schlüssel steckte ja meist von außen, den mußte ich erst rausstoßen.«
Zwei Sekunden Pause, ein leiser Seufzer, den Blick auf einen Punkt an der Wand gerichtet, sprach Laura weiter. Und ich konnte nichts weiter tun, als ihr zuhören.
»Nie habe ich mit einem Menschen darüber reden können. Kannst du dir vorstellen, wie sie mich ausgelacht hätten? Andere in meinem Alter machten den Führerschein, ich durfte nicht einmal an der Abschlußfahrt meiner Schulklasse teilnehmen. Ich mußte eigens eine Krankheit erfinden, ich konnte doch nicht sagen, meine Mutter ist verrückt. Am Ende wäre noch der Schuldirektor oder sonst jemand gekommen, um ›vernünftig‹ mit ihr zu reden. Die Folgen kannst du dir vielleicht ausmalen. Und vielleicht kannst du dir vorstellen, mit welchen Blicken Vati mich anschließend bedacht hätte.«
Laura seufzte noch einmal kurz, dann ging es weiter.
»Ich war sechzehn, als eine Mitschülerin schwanger wurde. Sie entschloß sich, das Kind zur Adoption freizugeben. Wir sprachen in der Klasse ganz offen darüber und sollten eine Arbeit zu diesem Thema schreiben. Vati war zu einem Kongreß. Und ich habe mir nichts dabei gedacht, Tom, wirklich nicht. Ich habe ja auch nicht mit ihr darüber gesprochen. Ich habe mich einfach in mein Zimmer gesetzt und mit dieser Arbeit begonnen. Und kaum hatte ich angefangen, da kam sie herein. Sie klopfte nie an, wenn sie hereinkam. Aber selbst wenn sie angeklopft hätte, hättest du dir etwas dabei gedacht, wenn du Schularbeiten erledigst.«
Als ich den Kopf schüttelte, zuckte Laura mit den Schultern.
»Sie kam herein und beugte sich über mein Heft. Sie las ein paar Zeilen und fing an zu schreien. Einfach so. Den ganzen Nachmittag hat sie geschrien, nur geschrien. Und Vati war nicht da. Ich wußte mir nicht zu helfen. Ich bin zu einem Nachbarn gelaufen, der hat einen Arzt gerufen. Sie bekam eine Spritze, danach wurde sie still. Und dann hieß es, man müsse sie sicherheitshalber in eine Klinik einweisen. Guter Gott, ich bin gestorben vor Angst und Schuldgefühlen. Ich habe geredet wie ein Wasserfall, gebettelt und gefleht, daß sie sie daheim lassen. Aber natürlich haben sie nicht auf mich gehört. Sie nahmen sie mit. Drei Tage später kam Vati zurück, kannst du dir vorstellen, wie es weiterging.«
Sie wartete meine Antwort nicht ab, schüttelte den Kopf und fuhr fort:»Ich könnte dir an die hundert solcher Episoden aufzählen. Und ich hatte immer panische Angst, eines Tages genau so zu werden wie sie.«
Laura atmete hörbar aus, versuchte ein Lächeln. Es wirkte so rührend.
»Als ich mit Danny schwanger wurde, bin ich vor Angst fast gestorben.«
»Du hast nie etwas gesagt.«
»Nei.«, sie tippte sich mit einem Finger gegen die Brust.
»Das haben sie mir ja sehr früh beigebracht, nichts zu sagen. Und ich mußte mir
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