Das Geheimnis der Salzschwestern
Holzfußboden festgeschraubt, und es gab einen einfachen Altar mit einem noch schmuckloseren Kreuz. An einer Wand entdeckte Dee das seltsamste Bildnis der Jungfrau, das sie je gesehen hatte.
»Was soll das denn?«, fragte sie und hielt bereits darauf zu, ihr Vater packte sie jedoch am Arm und schob sie ganz hinten in eine leere Bank.
»Jetzt setz dich endlich hin, die Messe fängt gleich an.«
Sie ließ sich auf der Holzbank nieder, starrte die seltsame Muttergottes jedoch immer noch an. Dee war natürlich keine Expertin, aber sie hätte das Bildnis auf keinen Fall als glorreich bezeichnet. Diese Madonna wirkte auf sie nicht wie eine gesegnete Mutter, eher wie eine weltliche Frau. Und da schien so einiges nicht mit ihr zu stimmen. Zunächst einmal verzierten Angelhaken und Köder den Saum ihres Kleides, und ein offenes Auge schmückte die Fläche ihrer rechten Hand, die nach unten geneigt war, als versuche sie, die Seelen Gefallener zu erhöhen.
Das Auffallendste an der Malerei war jedoch, dass der entscheidende Teil fehlte, die Muttergottes hatte nämlich kein Gesicht – da war nur ein weißer Fleck, den man in die Gipswand gemeißelt hatte. Ihre anmutigen Füße steckten in einer Art altmodischer Pantoffeln, und vor ihr flackerten wehmütig ein paar Gebetskerzen.
»Erhebet euch«, erklang eine zittrige Stimme, und dann schlurfte ein alter Priester den Gang entlang und sang dabei ein Loblied, langsam und ein wenig schief.
»Augen nach vorn«, knurrte Cutt, Dee war jedoch zu sehr in das Marienbildnis vertieft und hörte ihn gar nicht. Sie stellte sich gerade vor, was für Gesichtszüge wohl zu einer solchen Figur gehörten, als die Tür aufgestoßen wurde und eine außergewöhnliche Frau hereintrat, die Dees Frage ohne Worte beantwortete.
Während der ganzen Messe konnte Dee die Augen nicht von dieser Frau abwenden. Von hinten war sie interessant, Dee konnte aber nicht so recht sagen, ob sie sie von vorne hübsch oder einfach nur unheimlich fand. Sie hatte grüne Augen, ein spitzes Kinn und die blasseste Haut, die Dee je gesehen hatte. Aber es war ihr Haar, das die Frau verriet, und zwar nicht nur die Farbe, ein unheiliges Rot, sondern vor allem, wie sie es aufgetürmt und festgesteckt hatte. Jede einzelne Strähne war mit Spray und Haarnadeln gebändigt worden, als hinge ihr Leben davon ab. Dee wusste ganz genau, dass jemand, der nichts zu verbergen hatte, seine Haare keiner solchen Tortur unterwerfen würde.
Die Rothaarige war mit ihrem Mann gekommen, und während sie absolut beeindruckend war, war er einfach nur attraktiv und offensichtlich ziemlich reich. Er sah etwas älter aus als seine Begleitung (eine einzelne silberne Strähne zierte seinen Schopf), aber nicht so alt, als dass Dee sich nicht vorstellen konnte, wie er sie im Arm hielt statt seiner Frau. Er musste ihren Blick gespürt haben, da er sich ein wenig in ihre Richtung umwandte, um Dees gerundete Hüften und auch den ganzen Rest so unverfroren in Augenschein zu nehmen, dass sie tiefrot anlief und ihr Gesangbuch fallen ließ.
»Was zum Teufel ist denn heute bloß los mit dir?«, zischte ihr Vater und knuffte sie in die Seite, woraufhin der gutaussehende Mann ein Grinsen unterdrückte und ihre Wangen nur noch stärker brannten. Während des restlichen Gottesdienstes folgte Dee lieber dem Rat ihres Vaters und sah starr nach vorne, auch wenn sie sich dafür vorstellen musste, beim Militär strammzustehen.
Nachdem der schnaufende alte Priester sein letztes Amen gekeucht hatte, zog Cutt Dee mit sich zu ihm hinüber, um sich kurz vorzustellen. Er hieß Pater Flynn. Aus der Nähe stellte Dee fest, dass sein Gesicht freundlich und sanft war, und plötzlich bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn vorher so abgestempelt hatte.
»Cutt Pitman«, stellte sich ihr Vater vor und streckte ihm die Hand entgegen. »Und das ist Deirdre, meine bedauernswerte Tochter.«
»Alle nennen mich Dee«, erklärte sie und griff nach der faltigen Hand des Pfarrers, der sie anlächelte. Sie bemerkte, dass die rothaarige Frau einen Moment zögerlich vor dem seltsamen Bildnis der Muttergottes verharrte, so als wollte sie es berühren, dann schnaubte sie jedoch, drehte sich um und folgte ihrem Mann mit dem lüsternen Blick durch die Kirche.
»Wer ist das?«, fragte Dee, als Mr Weatherly sich zu ihnen gesellte.
Pater Flynn und der alte Handwerker folgten ihrem Blick und wirkten beide erstaunt. »Na, das ist doch Claire Gilly Turner«, sagte Pater Flynn. »Haben
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