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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Baker
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schmutzigen Knien, die mit ihrem betrunkenen Vater und einer schwachsinnigen Schwester in einer Fischerhütte hauste und gänzlich von der Wohltätigkeit der katholischen Temperenzler abhängig war, um mit Kleidung, ein paar Lebensmitteln und moralischen Grundlagen ausgestattet zu werden. Jos Mutter fand es amüsant, Ida, die sich doch als Kind wild und ungestüm an Drake’s Beach in der Brandung herumgetrieben hatte, blitzblank und herausgeputzt in die Kirche schreiten zu sehen. Jo wusste, dass es da draußen am Strand Strömungen gab, die einen Körper hinabreißen konnten, und solche, die einen Menschen nur ein wenig durchrütteln und dann wieder loslassen würden. Wehe dem, der den Unterschied nicht kannte.
    Bei Ida musste man genauso vorsichtig sein. Einmal bemerkte sie während der Messe, dass Whit herumzappelte, drehte sich zu ihm um und ertappte ihn mitten in einer Grimasse. Er zog seine Mundwinkel mit zwei Fingern auseinander und wackelte mit den Augenbrauen in Jos Richtung. »Whittington Turner«, fauchte Ida deutlich vernehmbar und kniff ihm mit lackierten Nägeln ins Ohrläppchen. »Wenn du dieses Gilly-Mädchen nur noch ein einziges Mal ansiehst, dann steche ich dir die Augen aus.« Das brachte Whit zur Räson. Genau wie Ida drückte er nun den Rücken durch und faltete die Hände im Schoß. Jo fand es faszinierend, dass er seine steifen Turner-Manieren anlegen und wieder abstreifen konnte wie ein Paar Socken.
    Wenn das Wetter nach dem Gottesdienst gut war, entließ Mama Jo am Drake’s Beach mit der Weisung in die Freiheit, doch etwas fürs Mittagessen mitzubringen. Die Wirtschaftskrise und die Kriegsjahre waren zwar längst vorbei, aber das Leben der Menschen in dieser Gegend war trotzdem karg. Für die Bewohner von Prospect stellte überwiegend das Meer die Lebensgrundlage: Fisch, schnappende Hummer und am Strand ausgegrabene Muscheln. Aber ganz langsam änderten sich die Dinge. Die neue Schnellstraße am Kap, der Mid-Cape Highway, war endlich fertig (Jo stellte sich manchmal gern vor, dass ihr Vater abgehauen war, um beim Bau mitzuhelfen), und es kamen jedes Jahr mehr Leute in ihre kleine Stadt. In der Nähe von Hyannis vergnügten sich die Reichen mit ihren Familien und vergrößerten sie sogar noch, und jeden Sommer verstopften pastellfarbene Autos mit eleganten Kühlern und Lamellen die Straßen. Wenn Jo hinter einem solchen Wagen im Verkehr feststeckte, kniff sie die Augen zusammen und musste dann an diese eine Schachtel Gebäck denken, die Ida nach der Ostermesse herumgereicht hatte, von der ihre Mutter sie aber nicht hatte probieren lassen.
    »Von Ida Turner nehmen wir nichts an«, hatte Mama gefaucht und Jo einen Klaps auf die Hand gegeben. »Wir leben zwar bescheiden, aber so arm sind wir dann doch nicht.«
    Dank Ida lebten viele Menschen in der Stadt bescheiden.
    »Koteletts hab ich keine mehr«, erklärte Mr Upton ihnen von Mai bis August stets traurig. »Filet, Rinderkamm und Hamburger sind auch aus.« Also gab es für Jo und ihre Familie stattdessen Leber, Hachse und Ochsenschwanz. Sie lauschten den Klängen von Big-Band-Schallplatten und dem Rasseln der Cocktailshaker, die von Plover Hill herübergeweht wurden, und schauten mit an, wie die Turners veranlassten, dass rund um die Bank Street alle Häuser perlgrau gestrichen wurden, sie die Hecken stutzen und den Lattenzaun vor Mr Uptons Laden reparieren ließen, und ein Bußgeld für die Besitzer der Geschäfte einführten, die ihre Fenster nicht sauber hielten.
    »Bald stecken uns die Turners noch alle in Uniformen«, grummelte Mr Upton, als Jos Mutter ihre Salzlieferung vorbeibrachte. »Egal, wohin man spuckt, es trifft immer irgendeine ihrer Neuerungen. Ich hab gehört, dass sie sich jetzt nach Grundstücken auf dem Festland umsehen.« Der Blick von Jos Mutter verfinsterte sich, wenn sie so etwas hörte, sie sagte jedoch nichts dazu und reichte Mr Upton nur mit gerunzelter Stirn seine Lieferung. Jo wusste, dass sie wirklich andere Sorgen hatten. Sie verkauften von Sommer zu Sommer weniger. Es stellte sich heraus, dass die Urlauber lieber feines, weißes Salz wollten. Mit dem klumpigen Zeug der Gillys konnten sie nicht viel anfangen.
    Wenn man bedachte, wie unterschiedlich ihre Herkunft war, hätten Whit und Jo eigentlich niemals Freunde werden sollen – dagegen sprachen Hunderte von Gründen, und wenn es nur war, dass Ida Mama hasste, und Mama sie mit einer Inbrunst zurückhasste, mit der sie sonst nur die wilden Katzen in der Marsch

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