Das Geheimnis der Salzschwestern
Kommunion zu gehen, strich sie ihren Rock sorgfältig über den Hüften glatt. Während sie in der Schlange stand, sah sie über die Schulter zu Ethan hinüber, der starrte aber nur nach vorne zum Altar und schien nichts anderes wahrzunehmen. Claire zog eine Schnute und wandte sich ab. An seinen Prioritäten musste sie ganz offensichtlich noch arbeiten.
Nach der Messe unterhielten sich die Erwachsenen und tranken Kaffee, Claire eilte jedoch hinaus, um hinter dem Pfarrhaus heimlich zu rauchen. Sie dachte eigentlich, sie hätte eine windgeschützte Stelle gefunden, das erste Streichholz ging jedoch nicht an, das zweite erlosch so schnell wieder, wie es aufgeflackert war, und am dritten verbrannte sie sich den Daumen.
»Verdammt!«, rief sie, schnaubte und wedelte mit der Hand in der eisigen Luft herum.
»Lass mich mal«, bat sie da eine melodische Stimme. Als sie aufsah, nahm ihr Ethan Stone die Zigarette aus dem Mund, die immer noch darauf wartete, angezündet zu werden, schob sie sich zwischen die Lippen und strich ein weiteres Hölzchen aus dem Streichholzbrief an. Er nahm einen tiefen Zug, der Claire verriet, dass das nicht sein erster war, und reichte ihr dann die Zigarette. »Diese Dinger bringen dich noch um«, warnte er mit einem Funkeln in den Augen. »Du solltest lieber ans Aufhören denken.«
»Hm … hi«, murmelte sie sprachlos. »Ich hab dich gar nicht in der Schule gesehen.« Das stimmte zwar, fiel ihr aber jetzt erst auf. Der alte Ethan war ein Junge gewesen, der Seite an Seite mit ihr hätte essen oder etwas aus ihrem Lunchpaket stibitzen können, und sie hätte ihn schon zwei Sekunden später wieder vergessen, aber dieser neue Ethan war jemand, der Claire nicht aus dem Kopf ging, selbst wenn sie gewollt hätte. Er griff wieder nach ihrer Zigarette, und sie sah dabei zu, wie seine Lippen sie umschlossen. Gleichmäßig blies er den Rauch in die Luft.
»Ich hab mit meinem Vater gearbeitet. Aber jetzt ist die Saison fast zu Ende, also komme ich wieder zum Unterricht, wenn auch etwas später.« Er runzelte die Stirn. »Er wollte überhaupt nicht, dass ich wieder zur Highschool gehe, aber ich will trotzdem meinen Abschluss machen, selbst wenn ich mein Leben auf See verbringen werde.«
Claire rückte ein wenig näher und war selbst erstaunt über die Tatsache, die nun über ihre Lippen kam: »Ich denke, es ist gut, dass du gern tust, womit deine Familie ihr Geld verdient. Ich hab nämlich das Gefühl, dass ich überhaupt nicht in die Marsch gehöre, obwohl meine Mutter und meine Schwester das Salz ja geradezu anbeten.«
Ethan lächelte und gab ihr die halbgerauchte Zigarette zurück. »Wo gehörst du denn hin?«
Sie überlegte. »Vielleicht auf eine Insel. Irgendwo, wo es unheimlich schattig und feucht ist und wo ich beim besten Willen kein Salz produzieren könnte.«
Ethans Gesicht wurde nachdenklich. »Aber Fische gibt es da doch bestimmt.«
Claire nickte. »Vermutlich.« Beide fuhren auf, als die ersten Leute langsam aus der Kirchentür traten. Ethan lächelte sie an, und ihr kam wieder in den Sinn, wie sehr sie seine Augen mochte.
»Wir sehen uns, Claire Gilly.« Mit zittrigen Knien sah sie ihn davongehen.
»Claire? Claire, wo bist du?«, erklang die Stimme ihrer Mutter, und Claire versuchte zu antworten, aber es war, als würde sie aus großer Entfernung in den Tunnel ihrer eigenen Vergangenheit hinabrufen.
»Ich komme!«, brachte sie schließlich hervor und drückte die Zigarette aus. »Bin sofort da.« Sie umrundete das Gebäude und fragte sich, wie schnell man wohl ein Dasein im ewigen Salz gegen ein Leben mit unendlich viel Fisch austauschen konnte.
Claire sah Ethan auch weiterhin in der Kirche und lief ihm in der Schule über den Weg, und er war immer nett, trug manchmal die Bücher für sie und tauschte gelegentlich eine Sandwichhälfte mit ihr, aber er bat sie nie um eine Verabredung, und je länger sich die ganze Sache hinzog, desto gereizter wurde sie.
Dass sie Ethans wundersame Verwandlung auf See nicht als Einzige bemerkt hatte, machte es nur noch schlimmer. Cecilia West warf sich ihm jedes Mal quasi zu Füßen, wenn er an ihrem Spind vorbeiging, und Abigail Van Huben redete beim Essen über nichts anderes als seine Augen.
»Ich muss ihn einfach dazu kriegen, dass er mich beim Dezemberfeuer küsst«, verkündete Abigail Mitte November. Sie trat Claire gegen den Knöchel. »Oh, guck mal, da kommt er ja!«
Claire zog eine finstere Miene und knüllte die Papiertüte zusammen, in
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