Das Geheimnis der Salzschwestern
näherten. Sie wartete nicht darauf, dass er es sicherte, sondern schwang einfach die Beine über die Seite und sprang in die Brandung, die ihr bis zur Hüfte reichte. Dabei konnte sie endlich ihre Hand aus seinem Griff befreien.
Claire wartete mit zwei Angelruten am Strand auf sie und juchzte bei ihrem Anblick in ihrer ganzen elfjährigen Pracht. Whit holte das Kielschwert ein und zog die Jolle auf den Strand, während Claire eine alte Decke ausbreitete, die sie mitgebracht hatte. Jo sah zu, wie Whit sich auf dem Karomuster breitmachte und die Knöchel überkreuzte. Ganz offensichtlich wusste er, dass er im Leben ohne große Anstrengungen Erfolg haben würde, und einen Moment lang überkam sie Neid.
Claire fing damit an, irgendwas vom Gymnastikteam in der Schule zu erzählen. »Es ist nicht fair, dass Cecilia West Kapitän wird, nur weil sie den Flickflack kann, wenn sie noch nicht einmal einen Spagat hinkriegt«, verkündete sie mit einem Schmollmund. Jo versah die erste Angel mit einem Köder und warf sie aus, schob die Rute dann in den Sand und bestückte auch den zweiten Haken.
»Arme Claire.« Whit zog eine Grimasse.
Sie schniefte. »Das ist nicht so einfach, wie es aussieht. Ich wette, du kannst auch keinen Spagat.«
Whit wischte sich Sand von den Händen. »Da hast du recht, ich hab aber auch gar kein Interesse daran.«
Claire hing bei diesen Worten wie gebannt an seinen Lippen. Sie ließ sich neben ihn auf die Decke sinken – rückte ihm viel zu sehr auf die Pelle, dachte Jo, deren Magen nach der Bootsfahrt immer noch ganz durcheinander war.
»Mich interessiert das ja eigentlich auch nicht«, erklärte sie und überkreuzte die Beine in der Luft. »Aber die Mädchen im Gymnastik-Team sind beliebt, und alles wird einfacher, wenn man beliebt ist.«
Genau in diesem Moment biss ein Fisch bei Jo an. Sie stieß einen Schrei aus, zog an der Leine und holte sie so schnell wie möglich ein. Whit sprang von der Decke auf und lief zu ihr hinüber, um ihr zu helfen, aber sie winkte ab. Sie hatte das Tier schon vom Haken gelöst, und es zuckte zwischen ihren Fingern. Whit schob die Hände in die Hosentaschen und blieb mit zusammengekniffenen Augen am Rand der Brandung stehen.
»Claire«, rief Jo, »komm doch mal rüber und fass hier mit an.« Sie warf den Fisch in einen Eimer. Claire seufzte und erhob sich langsam von der Decke. Einen Moment lang verriet ihr Gesicht Jo, wie sehr sie die Elemente ihres Lebens hasste: Salz, Fisch, Rost und Sand.
»Schau mal nach der anderen Leine«, ordnete Jo an. »Ich glaube, da hat auch einer angebissen.« Ein zweiter Fisch wäre perfekt. Ihre Mutter würde das blättrige Fleisch mit Kartoffeln, Lorbeer und Brühe zubereiten, und sie würden am Abend das Haupt senken und Gott für seine milden Gaben danken.
Jo sah, wie Claire die Rute aus dem Sand zog und an ihre Hüfte lehnte. Eine Welle rollte heran und warf sie beinahe um, aber plötzlich war Whit bei ihr, schlang seine starken Arme um sie und hielt sie fest. »Vorsicht, Püppchen«, sagte er und legte seine Hand über Claires Finger auf der Spule. »Langsam und gleichmäßig.« Zusammen holten sie eine Makrele ein. »Soll ich die für dich ausnehmen?«, fragte Whit. Der Fisch zappelte und wurde dann ruhiger.
Claire überlegte. »Nein. Wir sollten ihn lieber wieder reinwerfen.«
Whit zuckte mit den Achseln. »Wie du willst, Kleine.« Er reichte ihr die Rute, suchte im Angelkasten nach einer Zange, knipste das Ende vom Haken ab und machte den Fisch los. Dann legte er ihn in das herbeiströmende Wasser. Das Tier wurde wieder munter und begann erneut zu zappeln. »Na dann mal los«, rief Whit und öffnete die Hand.
Das Wasser spritzte, als Jo näher herankam. Sie sah zu, wie der Fisch mit der Flosse wackelte und sich in die Strömung einfädelte, bevor er davonschwamm. »Was soll das denn, Claire?«, schalt sie. »Du bist so eine Mimose!«
Mit Tränen in den Augen wandte Claire sich ab, und in dem Moment bemerkte Jo, dass sich der Angelhaken der Makrele irgendwie in ihre Hand gebohrt hatte, wo nun ein Blutstropfen schimmerte.
»Oh Gott«, knurrte Jo und schnappte sich Claires Handgelenk. Sie schnitt den Haken von der Leine ab, so dass sie ihn komplett durch Claires Haut schieben konnte. Das war wieder einmal typisch für Claire, als müsse sie mit dem armen Fisch mitleiden. Sie musste eben immer im Mittelpunkt stehen. Jo zog ein letztes Mal am Haken, der nun endlich frei war. »Du bist noch ein viel größerer Idiot, als
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