Das Geheimnis der Salzschwestern
das Problem«, seufzte Mama. »Es würde immer Idas Geld sein. Mach dir mal keine Sorgen. Wenn du aufs College gehen willst, finde ich schon Mittel und Wege. Die Turners sind nicht die einzige Geldquelle in dieser Stadt.« Und dann warf sie Ida ohne jede weitere Erklärung raus, befahl ihr, ihre Veranda zu verlassen und sich gefälligst von ihrem Land fernzuhalten.
»Wo steckt eigentlich Whit?«, fragte Claire, nachdem Ida gegangen war. »Der hat sich hier den ganzen Sommer nicht blicken lassen.« Sie zog eine Schnute. »Dabei hat er doch versprochen, mir Schach beizubringen.«
Jo spielte an den Tasten des kaputten Klaviers herum und erfüllte den Flur mit schrägen Tönen. »Das würde dir sowieso keinen Spaß machen«, entgegnete sie.
Claire stemmte die Hände in die Hüften. »Mehr Spaß als all das hier auf jeden Fall.« Einen Moment empfand Jo richtig Mitleid für ihre kleine Schwester. Sie war ja noch ein Kind, die Leichtigkeit der Jugend suchte man in ihrem Leben jedoch vergeblich. Jo sah durch das Fliegengitter hinaus auf die Bassins in der Marsch. Die sahen auch fast aus wie ein Schachbrett, aber die Regeln für das Spiel hier draußen waren völlig andere als alles, womit Whit Turner sich auskannte, trotz schickem Internat und schicken neuen Freunden, und je eher sich die dickköpfige Claire das hinter die Ohren schrieb, desto besser. Jo ignorierte die Hitze und schloss die Haustür.
»Das ist alles, was wir haben«, verkündete sie und machte dann auf dem Absatz kehrt.
Es versetzte Jo trotzdem einen Stich, als sie am nächsten Tag im Imbiss Salz lieferte und Whit dort zusammen mit einem blonden Mädchen an der Theke sitzen sah. Jo kannte seine Begleitung nicht, sie war nicht aus der Stadt, sondern gehörte zu den Sommergästen und zu einer sozialen Schicht, zu der Jo nur aufsehen konnte. Die Blondine hatte ein Ripsband im Haar und trug einen Rock aus Madras und so schneeweiße Schuhe, dass Jos Herz bei ihrem Anblick ganz wild klopfte. Whit lief vor Wut rot an, als er seine alte Vertraute entdeckte, legte dann den Arm um das Mädchen und drehte seinen Stuhl so, dass er Jo nun den Rücken zuwandte.
»Könnte meine Freundin hier vielleicht ein paar Fritten bekommen?«, rief er mit gedehnter, betont gelangweilter Stimme und zwinkerte Mr Hopper zu.
Jo legte den Salzbeutel auf den Tresen. Wie ein Raubtier lauerte ihr Atem heiß in der Brust. »Bezahlen können Sie ruhig beim nächsten Mal«, sagte sie zu Mr Hopper. »Ich muss los.« Mit gesenktem Blick huschte sie aus dem Lokal, bevor Whit womöglich noch eine Bemerkung machte. Am liebsten hätte sie dem Mädchen das Band aus den Haaren gerissen, ihr den Rock zerknittert und wäre auf ihren albernen weißen Schuhen herumgetrampelt. Irgendwer , dachte Jo, müsste der mal zeigen, wo’s langgeht . Irgendjemand sollte ihr mal erzählen, dass Liebe nicht einfach so vorbeikommt, während man am Imbiss an der Theke sitzt und mit den Beinen baumelt. Denn Liebe war doch viel mehr wie ein Zwölfstundentag in der Marsch – etwas, an das man sich langsam herantasten musste, bevor man es regelmäßig durchstehen würde.
Aber solche Sachen sprach man nicht einfach aus. Ausgerechnet Claire, der es am meisten genutzt hätte, hatte Jo ihr Geheimnis nie erzählt. Und was hätte es nach diesem grundlegenden Versäumnis denn gebracht, es jemand anderem zu verraten? Gar nichts, so sah es nämlich aus. Außerdem hätte ihre Geschichte ja sowieso niemanden interessiert, dachte Jo, drückte die Schultern durch und trat den Rückweg zum Gut an. Und angesichts ihrer gemeinsamen Vergangenheit mit Whit war das vermutlich auch besser so.
Obwohl Jo Whit immer mal wieder in der Stadt sah – in der Kirche natürlich, und in den engen Gängen von Mr Uptons Laden, oder wenn er hinter dem Steuer des Turner-Cabrios die Bank Street entlangfuhr –, fühlte sie sich bei diesen Begegnungen unwohl und angespannt. Es war jedes Mal ziemlich offensichtlich, dass Whit sie gesehen hatte, auch wenn er meistens so tat, als ob er sie nicht bemerkte. Und wenn er doch etwas zu ihr sagte, dann auf eine bissige Art und Weise, die Jo seltsam fand. »Hey, Gilly-Mädchen!«, rief er ihr zum Beispiel zu, »wie läuft es denn so mit dem Salz?« Und als Jo dachte, dass es eigentlich nicht mehr schlimmer kommen konnte, wurde sie eines Besseren belehrt. Am vorletzten Wochenende im Sommer, kurz bevor Whit ins Internat zurücksollte, starb Ida tatsächlich einfach so und brachte damit in Prospect das Leben für
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