Das Geheimnis der schönen Catherine
dann.« Er griff nach ihrer Hand und wollte sie zur Tanzfläche führen.
»Lord Norwood!« zischte Catherine aufgebracht. Verwundert blickte er sie an. »Ich werde nicht mit Ihnen tanzen!«
»Nicht?«
»Nein. Wir werden nie wieder miteinander tanzen, haben Sie mich verstanden?« Er blinzelte verwirrt. »Eine Heirat kommt für uns überhaupt nicht infrage«, erklärte Catherine nun in brutaler Deutlichkeit. »Oh. Auf keinen Fall? Sind Sie ganz sicher?« Sie nickte. »Ich bin mir völlig sicher, Sir. Es tut mir Leid, ich will Sie auch nicht beleidigen, aber ich denke, Ehrlichkeit ist angebracht.« Er nickte. »Ehrlichkeit. Na gut. Also dann.« Er wollte weggehen. Catherine zögerte, dann legte sie ihm die Hand auf den Arm, um ihn aufzuhalten, und flüsterte: »Falls es Sie tröstet, ich bin keineswegs reich.«
»Ach nein? Wie schade, wirklich.« Seine Aufmerksamkeit galt irgendetwas auf der anderen Seite des Raums.
Versucht er etwa, das Gesicht zu wahren, wunderte Catherine sich. Sie setzte noch einmal nach. »Ich bin nicht reich. Ich habe überhaupt kein Vermögen.«
»Ah.« Er nickte vage und blickte weiterhin durch den Raum. Catherine starrte ihn an. Er hatte ihr überhaupt nicht zugehört! »Ja, ich bin ein armer Habenichts ohne Namen. Ich dachte, das sollten Sie wissen.«
Lord Norwood warf ihr einen beiläufigen Blick zu und rang sich ein unbestimmtes Lächeln ab. »Das macht doch nichts. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt.« Er verneigte sich höflich und eilte dann auf direktem Wege zu Miss Lutens. Catherine sah ihm nach, halb amüsiert, halb verärgert. Sie hätte sich keine Sorgen machen müssen, ihn in seinen Gefühlen zu verletzen, weil ihr Verehrer ganz offensichtlich gar keine Gefühle hatte. Zumindest keine Gefühle für sie. Aber sie hatte ihr Ziel erreicht. Jetzt, wo sie Lord Norwood losgeworden war, hätte sein Onkel keinen Grund mehr, sich mit ihr zu beschäftigen. Stattdessen würde er beginnen, Miss Lutens zu überprüfen. Das war sehr gut. Sie würde nie mehr mit Mr. Devenish sprechen müssen. Und sie würde auch nie wieder Walzer mit ihm tanzen müssen. Hervorragend. Sie war sehr froh, fast entzückt. Allerdings verspürte sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund heftige Kopfschmerzen. Das lag sicher an dem fürchterlichen Ratafia. Sie hätte ihn gar nicht erst trinken sollen, denn er bekam ihr nicht. Er bekam ihr überhaupt nicht. Trübes graues Wasser klatschte rhythmisch gegen die Kaimauern und die großen Schiffe, die davor vor Anker lagen. Möwen kreisten kreischend unter dem bleiernen Himmel. Der kühle Wind trug Modergeruch mit sich. Von den großen Sträflingsschiffen wehte der faulige Geruch von Elend und Verzweiflung zu ihm herüber. Dieser Gestank wurde von anderen Gerüchen überlagert: vom Geruch nach heißem Teer, dem Rauch eines Feuers, auf dem Kohlsuppe gekocht wurde. Die Themse stank nach Treibholz, verwesendem Fisch und menschlichen Ausscheidungen. Darunter mischte sich ein schwacher Duft nach Gewürzen, der von einem in der Nähe liegenden Schiff ausging. Hugo kniff die Augen zusammen und atmete tief ein.
Dieser Geruch war ihm vertraut. Er brauchte nur einmal tief Luft zu holen, dann stand ihm jener Moment vor über zwanzig Jahren wieder deutlich vor Augen, da er als zitternder zehnjähriger Junge, ein Kleiderbündel unter dem Arm, an Bord gestoßen worden war. Ein Junge aus Shropshire, der noch nie einen Fuß auf ein Schiff gesetzt, geschweige denn die See gesehen hatte. Der Diener, der ihn zum Kapitän hatte bringen sollen, war ein netter Mann gewesen. Verlegen hatte er ihm auf die Schulter geklopft und gemeint: »Du wirst es schon lernen. Ich wette was, dass du bald zurück sein wirst. Und dann bist du ein großer, starker Seemann.« Und dann hatte man den kleinen Hugo unter Deck gebracht. Es war furchtbar dunkel gewesen. Der knarrende Holzboden unter seinen Füßen hatte sich bewegt. Er hatte Angst gehabt. Es hatte nach abgestandenem Wasser gestunken, nach Teer und nach Männern, die sich nur einmal im Jahr badeten. Nein, diesen Geruch würde er nie vergessen. Und auch nicht das rhythmische Knirschen des Schiffsholzes und das Geräusch, das die Wellen machten, wenn sie gegen den Rumpf schlugen. All das hatte ihn bis in den Schlaf verfolgt.
Hugo eilte weiter und stieg über die dicken Taue, die ihm hier und da im Wege lagen. Heute hatte er keine Angst mehr. Er war kein kleiner Junge von zehn Jahren mehr – er war jetzt sein eigener Herr. In den Docks herrschte wie
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