Das Geheimnis der schönen Catherine
Aber wenn er das wusste, warum stellte er sie dann nicht bloß? Das würde doch schneller als alles andere das Problem seines Neffen lösen. Konnte er es wirklich wissen? Wie denn? Schließlich stahlen Damen in der feinen Gesellschaft, in der er lebte, nicht einfach die Krawattennadeln ihrer Tanzpartner. Aus Schuldbewusstsein hatte sie seine Worte sicher anders interpretiert, als er sie tatsächlich gemeint hatte. Wenn er wirklich glaubte, dass sie eine Diebin war, würde er da noch mit ihr tanzen wollen? Vielleicht hatte er ja einen Verdacht … Das war aber schon alles. Mr. Devenish war nur wegen seines Neffen Thomas an ihr interessiert. Daher musste sie sich umgehend ihres unerwünschten Verehrers entledigen, um ihre Pläne nicht noch weiter zu gefährden. Einen Grund zur Rücksichtnahme Lord Norwood gegenüber sah Catherine nicht.
Der junge Mann war nicht in sie verliebt. Wenn Thomas überhaupt irgendetwas für Catherine fühlte, dann galt dieses Gefühl ausschließlich ihrer Diamantenmine. Ja, sie würde Lord Norwood unverzüglich seinen Abschied nehmen lassen – noch heute Abend. Und dann würde Mr. Devenish sie endlich in Ruhe lassen. Catherine sah sich im Ballsaal um. Ah, da war Lord Norwood ja! Er lehnte an einer Säule und unterhielt sich … gute Güte! Er unterhielt sich mit Miss Lutens und anderen jungen Damen. Sehr interessant. Offensichtlich meinte er Miss Lutens auch weiterhin vor Sir Bartlemys Annährungsversuchen schützen zu müssen. Ob dieser Hang zum Heldentum in der Familie lag? Beifällig sah Catherine ihm zu.
Bis jetzt war sie von Lord Norwood wenig angetan gewesen; er war ihr ziemlich töricht und langweilig vorgekommen. Aber dass er sich so fürsorglich um Miss Lutens kümmerte, zeigte, dass er ungeahnte Qualitäten besaß, Qualitäten, von denen er bislang vermutlich selbst nichts gewusst hatte. Jetzt erschien er ihr viel sympathischer. Es war fast ein wenig schade, dass sie ihm den Abend verderben musste, indem sie ihm eine Absage erteilte. Aber es musste sein.
Sie schritt zu ihm hinüber. »Miss Singleton?« Eine melodische Frauenstimme erklang hinter ihr. Catherine drehte sich um. Sie hatte die Stimme wiedererkannt. »Lady Cowper?« Höflich knickste sie vor der älteren Dame, die sie angesprochen hatte, eine der Patronessen des Almack’s. »Ich habe bemerkt, Miss Singleton, dass Sie noch keinen Partner für diesen Walzer gefunden haben«, sagte Lady Cowper. »Darf ich Ihnen Mr. Devenish vorstellen? Er tanzt hervorragend Walzer.« Sie lächelte Mr. Devenish auf eine Weise an, die schon fast schelmisch war. Er erwiderte das Lächeln und verneigte sich dann vor Catherine. Die knirschte mit den Zähnen. »Wollen wir, Miss Singleton?« Hugo streckte ihr den rechten Arm entgegen. Catherine, die wusste, dass Lady Cowpers Blick belustigt auf ihr ruhte, knickste ergeben und legte ihre Hand auf den Arm, den Mr. Devenish ihr bot. Sie lächelte ihn zuckersüß an. »Ich hoffe, ich werde Sie nicht enttäuschen, Mr. Devenish – ich bin manchmal ein wenig ungeschickt«, lispelte sie. Er wusste schließlich, dass ihr wenig daran lag, nochmals mit ihm zu tanzen. Ziemlich wenig zumindest. »Oh, ich glaube nicht, dass ich diesbezüglich irgendwelche Befürchtungen hegen muss«, sagte Mr. Devenish, während er sie zur Tanzfläche führte. »Schließlich«, raunte er ihr zu, »hängt es von Ihren Tanzkünsten ab, ob Sie bei Almack’s auch weiterhin zugelassen werden. Sie möchten Ihre Tante doch nicht in Verlegenheit bringen, oder?« Catherine zuckte zurück und sah ihn überrascht an. »Wie Sie sich beim ›Sir Roger de Coverly‹ benommen haben, ist nicht unbeobachtet geblieben«, erwiderte er spöttisch. »Wenn Sie Ihre Tante auch in Zukunft hierher begleiten wollen, sollten Sie Lady Cowper jetzt eine Kostprobe jener Anmut und Eleganz geben, mit der Sie über die Tanzfläche schweben können. Sie war nicht geneigt, Ihnen das Walzertanzen zu erlauben, aber ich konnte sie dazu überreden, Ihnen eine zweite Chance zu geben.«
»Sie konnten sie dazu überreden …« Catherine konnte den Satz nicht beenden, da er sie mit Schwung auf die Tanzfläche wirbelte und sich mit ihr in den Reigen tanzender Paare einreihte. Catherine war verloren. Sie hoffte, dass sie wirklich anmutig und leichtfüßig wirkte, aber dieser Gedanke ging sofort unter. Sie nahm nur noch den Mann wahr, in dessen Armen sie lag, und die Musik, die sie umgab. Als der Walzer endete, hatte sie Mühe, sich wieder in die Welt der Manieren
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