Das Geheimnis der Schwestern
Armen in einem schwarzen Sommerkleid, das viel von ihrem Busen zeigte. Besser konnte sie – ohne Fettabsaugung – wohl nicht aussehen. »Danke, Mädels.«
Aurora musterte sie prüfend. Sie nahm erst einen ihrer langen roten Ohrringe ab und dann den zweiten. »Trag diese. Und versuche, nicht über deine Wahlkampagne zu reden.«
»Wieso?«
»Weil du immer zu sehr ins Detail gehst, und das ist langweilig. Vor allem, wenn du von der Sanierung der Innenstadt anfängst. Vertrau mir. Lass es einfach.«
Winona sah Vivi Ann fragend an. »Stimmt das?«
Vivi Ann grinste. »Allerdings.«
Aurora warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Es ist Viertel vor sechs. Ich muss los.« Sie umarmte beide und ging.
»Bloß nicht nervös werden, klar?«, sagte Vivi Ann. »Er kann sich glücklich schätzen, mit dir auszugehen.«
»Danke«, sagte Winona und wünschte, sie könnte es glauben. »Noah hat gefragt, ob er bis neun arbeiten darf. Bist du einverstanden?«
»Klar. Ich hole ihn ab, wenn er anruft. In den letzten Tagen war seine Gesellschaft sehr angenehm. Er hat sogar gelächelt. So als wäre er wieder der Junge von früher, vor dem Einschießen der Hormone. Ich glaube, das haben wir zum großen Teil dir zu verdanken.«
»Ich hab doch nichts Besonderes gemacht.«
»Winona Grey wehrt Lob ab? Die Welt, wie sie nicht ist?«
»Sehr komisch.«
Vivi Ann umarmte sie fest, drückte ihr einen Kuss auf die Wange, verabschiedete sich und ging hinaus, wo sie kurz mit Noah sprach und dann davonfuhr.
Auf der Stelle fing Winona an, nervös herumzulaufen wie ein Eisbär im Zoo, der vor dem Zaun läuft und langsam verrückt wird. Sie hasste erste Verabredungen; man machte sich einfach zu große Hoffnungen. Und sie hatte weiß Gott gelernt, dass dieses heikle Gefühl gefährlich war. Jedes Mal wenn sie einen neuen Mann kennenlernte, dachte sie: Vielleicht ist er der Richtige; vielleicht lässt er mich endlich Luke vergessen.
»Tante Winona?«
Dankbar für die Abwechslung, blieb sie stehen. »Hör mal, du brauchst heute Abend nicht zu arbeiten.«
»Ich möchte aber. Sonst würde ich doch nur in meinem Zimmer hocken und Xbox spielen.« Er grinste. »Ach, stimmt ja. Meine verrückte Mutter hat mir ja die Xbox weggenommen, als ich vom Unterricht verwiesen wurde.«
»Willst du damit sagen, dass du an einem Samstagabend nichts Besseres zu tun hast, als Vogeldreck abzukratzen?«
»Herrgott, jetzt fühle ich mich wie ein totaler Loser.«
»Tut mir leid.«
Er nickte, rührte sich aber nicht, sondern starrte sie an. Ihr fiel auf, dass er gepflegter wirkte: Sein Haar glänzte und war zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und sein ärmelloses T-Shirt und die Badeshorts passten ihm richtig. Er trug zwar immer noch die lächerlich großen Skaterschuhe, aber man konnte nicht alle Modeschlachten auf einmal gewinnen.
»Du siehst aus, als wolltest du etwas sagen.«
Er setzte sich auf die Sofalehne. »Was machst du, wenn du jemanden magst?«
»Meistens übergebe ich mich«, sagte sie lachend. Dann sah sie ihn an. »Ach, das war ernst gemeint. Tja …« Sie ging zu ihm und setzte sich auf die altmodische Milchkiste, die sie als Sofatisch umfunktioniert hatte. »Da gibt es keine allgemeingültige Antwort, und ich bin auch keine Expertin, aber mir ist Ehrlichkeit und Respekt am wichtigsten. Wenn ich das von einem Mann bekomme, bin ich glücklich.«
»Warst du jemals verliebt?«
Sie war überrascht. Diese Frage hatte ihr schon lange niemand mehr gestellt, auch sie sich selbst nicht, aber nun war sie heraus und hing in der Luft. Wie erwartet tauchte Luke vor ihrem inneren Auge auf, und zwar deutlicher, als es sein sollte. Am liebsten hätte sie ihn einfach vergessen, aber das konnte sie nicht. Er war der eine für sie. Ihr Neo, wie Vivi Ann gesagt hätte. Er war derjenige, an dem alle anderen Männer gemessen wurden. Aber er hatte nie ihre Liebe erwidert. War das nicht erbärmlich? »Ja, vor langer Zeit«, antwortete sie.
»Was ist passiert?«
Am liebsten hätte sie jetzt gelogen und gesagt: »Gar nichts«, oder sich irgendwie herausgeredet, aber als sie den ernsten Blick ihres Neffen sah, fiel ihr wieder ein, was sie wegen Luke gelernt hatte: Lügen und Ausflüchte tendierten dazu, sich auszubreiten; wie eine zu dicke Schicht Dünger konnten sie alles unter sich begraben und abtöten. »Er hat meine Liebe nicht erwidert.«
»Echt Scheiße.«
Winona musste lächeln. »Ja, allerdings. Jetzt ist er verheiratet. Und hat zwei kleine
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