Das Geheimnis der Schwestern
letzten Sonntag nach der Kirche hast du Luke und Vivi keines Blickes gewürdigt. Außerdem hast du beim Barrel-Racing-Bankett gefehlt. Langsam fällt das auf.«
Winona seufzte. »Ich weiß … ich wünschte …« Sie konnte das Bedürfnis, das sie neuerdings befallen hatte, nicht mal aussprechen. Sie schämte sich deswegen. Denn sie wollte nicht nur, dass Luke plötzlich sie liebte. Das reichte ihr nicht mehr. Sie wollte Vivi Ann weh tun, damit sie einmal persönlich erlebte, wie es sich anfühlte, zu verlieren.
»Es geht um uns, Win«, erklärte Aurora leise und fasste nach ihrer Hand. »Um die Grey-Schwestern. Du kannst Luke nicht über uns stellen.«
»Ich weiß«, sagte Winona, und das stimmte auch. Sie wusste genau, was in diesem Fall richtig war und was sie zu tun hatte. Aber sie konnte es einfach nicht, und diese Erkenntnis schmerzte genauso wie alles andere. Selbstbeherrschung war nie ihre starke Seite gewesen. Früher hatte sie einfach zu viel gegessen und zu wenig Sport getrieben. Aber heute waren ihre Gefühle so unkontrollierbar wie ihre Wünsche geworden. Manchmal, wenn sie sich mitten in der Nacht dabei ertappte, wie sie Vivi Ann etwas Schlimmes an den Hals wünschte (nicht den Tod oder Ähnliches, nur etwas, damit Luke sie verließ), fragte sie sich, wozu sie eigentlich fähig war. »Behalte nur Vivi Ann im Auge, okay? Dann wirst du sehen, dass sie Luke nicht liebt.«
»Ach, Win«, sagte Aurora. »Du begreifst es einfach nicht. Wesentlich ist, dass er sie liebt.«
»Aber das würde er nicht, wenn er die Wahrheit wüsste.«
Jetzt starrte Aurora sie an; selbst im trüben Licht der Verandalampe war ihr die Sorge deutlich anzusehen. »Du würdest doch nichts Dummes tun, oder?«
Winona lachte. Sie musste sich kaum anstrengen, damit es echt klang. »Ich? Ich bin der klügste Mensch, den du kennst. Ich würde nie was Dummes tun.«
Aurora entspannte sich sofort wieder. »Gott sei Dank. Langsam hast du dich schon angehört wie Hedy aus Weiblich, ledig, jung sucht … «
»Du kennst mich doch«, beruhigte Winona ihre Schwester, doch als sie viel später wieder allein zu Hause war und daran dachte, wie Luke Vivi Ann im Outlaw angesehen hatte, machte sie sich ebenfalls Sorgen. Sorgen darüber, wozu sie wohl noch fähig war.
Vom Esszimmer aus konnte Vivi Ann den Garten, den Reitstall und die Koppel überblicken. Im rosafarbenen Morgenlicht wirkte alles verschwommen und leicht surreal.
Sie redete sich ein, dass sie nicht am Fenster wartete, sondern nur den Tisch deckte, wie immer, doch als Dallas auftauchte, erkannte sie ihren Selbstbetrug. Sie zwang sich zu einem neutralen Gesichtsausdruck und öffnete die Tür. »Hey«, sagte sie und wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab. Sie blieb zum ersten Mal zum Frühstück mit ihm und bemerkte sofort, dass es ein Fehler war.
Sei vorsichtig, Vivi Ann.
»Soll die verdammte Tür den ganzen Morgen offen stehen?«, fragte ihr Vater, der sich von hinten genähert hatte.
»Komm rein, Dallas. Setz dich«, bat sie und führte ihn zum Tisch.
Dann trug sie das Frühstück auf und nahm zwischen ihnen Platz. Als Dad sein Gebet gesprochen hatte, fingen alle an zu essen.
Das Frühstück verlief bei ihnen fast immer schweigend. Ihr Dad war, wie die meisten Cowboys, nicht besonders gesprächig. Aber an diesem Morgen zerrte das Schweigen an ihren Nerven. Sie wusste, dass Dallas sie ansah, als sie sagte: »Bald ist der nächste Roping-Jackpot. Ein paar Flyer müssen ausgelegt werden.«
»Das kann ich übernehmen«, antwortete Dallas. »Sag mir nur, wo.«
Sie nickte. »Und das Loch im Offenstall.«
»Hab ich gestern repariert.«
Überrascht sah sie Dallas an. »Das hab ich gar nicht auf die Liste gesetzt.«
»Woher weißt du eigentlich, dass ich lesen kann?«
Der Vater schnaubte und las weiter in seiner Zeitung.
Sie zwang sich, den Blick von Dallas’ Gesicht zu lösen, und sah ihren Vater an. »Könntest du heute mit mir nach Sequim fahren?«
»Ich hab zu viel zu tun, Vivi«, erklärte ihr Dad und schnitt seinen Schinken klein. »Sechs Pferde zu beschlagen. Das letzte in Quilcene. Willst du mal wieder ein Pferd retten?«
Sie nickte.
»Ich könnte mitfahren«, bot Dallas an.
»Nein, danke. Dann hilft mir mein Verlobter«, erwiderte sie.
»Wie du willst.«
Sie stieß sich vom Tisch ab und machte sich an den Abwasch. Als sie ihn beendet hatte, waren beide gegangen und das Haus wieder leer.
Die nächsten fünf Stunden arbeitete sie unermüdlich: gab
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