Das Geheimnis der Totenmagd
Sinn.
»Wer bist du? Ein Unmensch … eine eiskalte Bestie«, flüsterte sie keuchend. Panische Angst hatte sie erfasst. »Wie konnte ich nur so blind sein?«
Blitzschnell richtete sie sich auf und stürzte Hals über Kopf zur Tür, obwohl sie nur ein leinenes Unterkleid trug. Sie wollte nur noch fort, fort von den eisigen, gnadenlosen Augen ihres Geliebten. Aufschluchzend fasste sie die Klinke, doch ehe sie die Tür aufreißen konnte, traf sie ein heftiger Handkantenschlag im Nacken, von der Art, wie ein Bauer seine Hasen zu töten pflegt. Ihr schwanden die Sinne.
18
Den ganzen Morgen über hatte Florian vergeblich versucht, im Turm an der Galgenpforte jemanden anzutreffen, um sich endlich des Hundes zu entledigen. Das Tier war die ganze Nacht verloren durch die Stube geirrt und hatte leise vor sich hin gewinselt, und jetzt war Florian ziemlich in Eile. Bestimmt wartete Meister Caldenbach schon ungeduldig auf ihn.
Zu allem Überfluss bog nun auch noch seine Vermieterin, die Witwe Braunfels, um die Ecke. Als sie ihn mit dem beleibten Morro sah, schlug sie die Hände überm Kopf zusammen und konnte sich vor Empörung kaum mehr einkriegen:
»Also das geht zu weit. Dass Ihr mir jetzt auch noch einen Hund ins Haus schleppt! Wo es doch bei Euch ohnehin schon eng und dreckig genug ist. Der hat doch bestimmt Flöhe, der Köter. Und am Ende seicht der noch auf den Boden! Nein, das kann ich nicht dulden. Weg mit dem Vieh, oder ich kündige Euch …«
Die alte Dame gemahnte an ein aufgeplustertes Federvieh und ging Florian in diesem unglückseligen Moment derart auf die Nerven, dass er seine gute Erziehung vergaß und sie rüde unterbrach. »Ach, haltet doch den Mund! Dann kündigt mir halt das Häuschen. Ihr werdet schon so schnell keinen Dummen finden, der in diese Bruchbude zieht und Euch einen überteuerten Mietzins zahlt!«, fuhr er die verdatterte Matrone an, eilte ins Haus und knallte ihr die Tür vor der Nase zu.
Als Florian wenig später die Werkstatt betrat, schien der Meister tatsächlich ziemlich ungehalten über seine Verspätung zu sein. Aufgebracht schimpfte er: »Wo bleibst du denn, verdammt noch mal! Jetzt musste ich schon selber anfangen, die Farben zu mischen. Herr im Himmel! Wie soll ich das nur alles schaffen, mit so einem Luftikus als Schüler.«
»Es tut mir ja leid, Meister«, entschuldigte sich Florian kleinlaut. »Aber die Farben sind doch erst gestern geliefert worden.«
»Das ist doch beileibe schon schlimm genug, das Altarbild muss bis Ostern fertig sein! Wir haben inzwischen Dezember, noch kein Pinselstrich ist daran getan worden, und dann lässt du mich auch noch sitzen.« Meister Caldenbach raufte sich kummervoll die Haare.
Das Tafelbild »Das Martyrium des heiligen Jakob«, welches der reiche Patrizier und Kunstmäzen Jakob Heller für die Frankfurter Predigerkirche bei ihm in Auftrag gegeben hatte, raubte ihm fast den Verstand. Für die kostbaren Farbpigmente, die aus aller Herren Länder bestellt worden waren, hatte er in Vorlage treten müssen, was seine Liquidität deutlich überstieg. Damit hatten sich seine ohnehin beträchtlichen Schulden bei den verschiedenen Frankfurter Pfeffersäcken erhöht, und das trug nicht gerade dazu bei, seine Laune zu heben. Zumal es nicht verwunderlich wäre, wenn sich der überaus wohlhabende Heller auch dieses Mal mit der Begleichung des Malerhonorars ausgiebig Zeit ließe.
Florian wollte gerade zu einer ausführlicheren Entschuldigung ansetzen, aber sein erboster Meister war noch nicht fertig: »Kommt ganze zwei Stunden zu spät, der Langschläfer, und tut dann auch noch so, als wenn nix wär! So ein fauler Bärenhäuter! Die Malerei ist kein Wolkenkuckucksheim, merk dir das. Wenn du das nicht bald kapierst, wird nie etwas Gescheites aus dir werden! Sie ist harte Arbeit und erfordert eine eiserne Disziplin.«
Florian, der das cholerische Temperament seines Meisters kannte, ließ das Gewitter schicksalsergeben über sich ergehen, bevor er tief Luft holte, um noch einen weiteren Vorstoß zu wagen: »Bitte entschuldigt meine Verspätung, Meister. Aber mein Nachbar, der Nachtwächter, hat mir gestern Abend seinen Hund aufs Auge gedrückt und hat ihn nicht mehr abgeholt, obwohl er es mir zugesagt hat. Und dann bin ich …«
»Was sagst du da, der Nachtwächter ?«, fiel ihm der Meister ins Wort. »Aber den haben sie doch heute Morgen tot im Brunnen gefunden, auf dem Liebfrauenberg. Ist erstochen worden, der arme Teufel. Das hat vorhin unsere
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