Das Geheimnis der Totenmagd
Weile, ehe sie weitersprach, »und aus Männern erst recht nicht. Das ist halt nun mal so und wird sich auch sicher nicht mehr ändern. Ich liebe meine Bücher und das Schreiben, und ich liebe meine Freundin Klara.« Sie lächelte verlegen.
»Das ist doch schön! Dafür müsst Ihr … musst du dich doch nicht schämen. Ich wünschte, ich hätte auch eine Freundin, der ich so zugetan bin«, erklärte die Totenfrau freimütig.
»Dann nimm doch einstweilen mit mir vorlieb«, sagte Anna mit gewinnendem Lächeln und hakte sich bei Katharina unter.
Während ihrer Unterhaltung war die Zeit wie im Flug verstrichen, sie hatten Königstein erreicht und fuhren die steile Billtalhöhe hinauf. Die mächtigen Kaltblüter wurden merklich langsamer und mussten von Jockel mit der Peitsche angetrieben werden, damit sie nicht ganz zum Stillstand kamen. Die noch hoch am Himmel stehende Sonne verschleierte sich zusehends, und bald begann es zu schneien. Je höher sie die schmale Passstraße hinaufgelangten, desto dichter wurden die Schneeflocken. Rechts und links der Straße erstreckten sich endlose Tannenwälder, und Katharina und Anna wurde es angesichts der schroffen, gottverlassenen Gegend ein wenig beklommen zumute. Die beiden jungen Frauen wurden immer stiller.
»Deine Schwester ist übrigens nicht die einzige Frau, die in diesem Jahr ermordet wurde«, unterbrach Katharina plötzlich das Schweigen. »Das habe ich dir noch überhaupt nicht erzählt.«
Anna erstarrte und blickte Katharina betroffen an. »Was sagst du da?«
»Ende Oktober, ein paar Tage, bevor deine Schwester gefunden wurde, hatten mich die städtischen Huren mit der Totenwäsche einer Hübscherin beauftragt, die tot im Stadtgraben gefunden worden war. Beim Waschen habe ich gesehen, dass sie Würgemale am Hals hatte. Ich habe das der Gildemeisterin der Huren gemeldet, und daraufhin wurde ein Untersuchungsrichter mit der Aufklärung des Falles betraut. Was dabei rausgekommen ist, weiß ich nicht so genau. Den Mörder hat man wohl noch nicht gefunden, sonst hätte man bestimmt davon gehört. Und im letzten Frühjahr habe ich bei einer toten Bademagd ebenfalls blaue Male am Hals entdeckt. Damals bin ich gleich zur Polizei gegangen, doch die hat das nicht weiter interessiert, und es hat sich wohl auch keiner um die Sache gekümmert. – Ich weiß ja nicht, ob es da einen Zusammenhang gibt zu dem Mord an deiner Schwester, aber ein ungutes Gefühl habe ich deswegen schon«, bemerkte die Totenmagd nachdenklich.
»Zu Recht«, erwiderte Anna beunruhigt. Düster sinnierte sie: »Das könnte ja bedeuten, dass die Mörder der beiden Frauen und der Mörder meiner Schwester noch auf freiem Fuß sind und jederzeit wieder zuschlagen könnten.«
»Eine schreckliche Vorstellung«, murmelte Katharina und drängte sich schaudernd an ihre Reisegefährtin. Dann sagte sie mit bebender Stimme: »Was meinst du, vielleicht wäre es doch besser, wenn dein Knecht uns auf die Burg begleitet? Er ist bewaffnet und ein kräftiger Bursche. Am Ende können wir seinen Beistand gut gebrauchen.«
»Meinst du etwa, der Pater könnte uns Gewalt antun?«, fragte Anna besorgt.
»Wer weiß? Wenn er wirklich etwas mit dem Mord an deiner Schwester zu tun hat, und es gelingt uns, ihn durch unsere Fragen in die Enge zu treiben, dann sind wir doch eine Bedrohung für ihn. Und dann will er uns vielleicht rasch loswerden«, erläuterte die Totenwäscherin ernst.
*
Als der Pferdeschlitten am Nachmittag den steilen Waldweg erklomm, der zur Burg Hattstein führte, herrschte derart dichtes Schneetreiben, dass die Reisenden kaum noch etwas zu erkennen vermochten. Inmitten von hohen, schneebedeckten Tannenwipfeln zeichneten sich vor ihnen schemenhaft die mächtigen Zinnen der Burg ab.
Die breiten Rücken der Kaltblutpferde waren von der Anstrengung schweißnass, und ihr Atem dampfte. Nachdem Jockel das Fuhrwerk zum Stehen gebracht hatte, holte er unter seinem Kutschbock ein paar Decken hervor, die er den Tieren über den Rücken breitete.
»Hoffentlich dauert es da oben nicht so lange, sonst holen die sich noch eine Kolik«, brummelte er mürrisch. Katharina und Anna gingen nicht weiter darauf ein, viel zu groß war ihre Anspannung. Untergehakt schritten sie, gefolgt von dem Knecht, über die verschneite Zugbrücke, die über eine tiefe Klamm führte, und betätigten gemeinsam den schweren gusseisernen Türklopfer, der am Burgtor angebracht war. Nach einigen qualvollen Minuten des Wartens näherten sich
Weitere Kostenlose Bücher