Das Geheimnis der Totenstadt - Thriller
länger zurückzuverfolgen dürfte nicht ganz einfach sein. Auf jeden Fall würde ich alles geben, wenn ich nur eine Stunde mit ihm zusammensitzen könnte. Er hatte noch Ideen und Theorien für ein ganzes weiteres Leben.«
Robert hatte sich ein Glas Prosecco vom Tablett einer Bedienung genommen.
»Aber er wird doch Aufzeichnungen und Notizen hinterlassen haben?«
Plötzlich wurde der Sciutto ernst.
»In der Tat, das hat er. Ein kleiner Teil existiert auch noch. Aber der größte Teil wurde im Museo Topografico Centrale dell’Etruria in Florenz aufbewahrt. Im Jahre 1966 kam ein verheerendes Hochwasser. Ein großer Teil der historischen Innenstadt wurde meterhoch überflutet. Seit Ende Oktober hatte es ununterbrochen geregnet, und ab Anfang November kamen dann noch stärkere Wolkenbrüche hinzu. Daraufhin versagte die Kanalisation. Der Arno teilte sich oberhalb von Florenz in zwei Arme und strömte in die westlichen Stadtviertel. Man stelle sich vor: Er erreichte einen Höchststand von vier Metern! Wenig später, in der Nacht zum 4. November, wurde der Ponte Vecchio überflutet und zerstört. Dann rauschte das Wasser in die Viertel von Santo Spirito und San Frediano. Die östliche Flussseite traf es einige Stunden später. Der Arno durchbrach die Brüstungsmauer vor der Nationalbibliothek und drang in deren Magazine und das Viertel Santa Croce ein. Das Wasser floss irgendwann wieder ab, Millionen Tonnen von Schlamm blieben. Was das Wasser nicht geschafft hatte, das schaffte der Schlamm. Unwiederbringliche Schätze der Kultur wurden für immer vernichtet. Darunter eben auch die Aufzeichnungen des Isidoro Falchi.«
Robert schluckte.
»Meine Güte, ich habe zwar schon von der Flut gehört, aber dass sie solche Ausmaße hatte, wusste ich nicht. Ich war damals noch gar nicht geboren.«
Sciutto ging nicht weiter darauf ein.
»Wenn Falchi das noch miterlebt hätte, dann hätte er sicher wieder darauf hingewiesen.«
»Worauf?«, fragte Robert.
»Ein alter Onkel, der ihn noch persönlich kannte, hat einmal berichtet, dass er im kleinen Kreis gesagt hat, es gäbe immer noch starke Kräfte, die verhindern wollen, dass das geheime Wissen der Etrusker allen zugänglich wird. Dies seien nur Erkenntnisse für ein paar Auserwählte, der Rest der Menschheit sei noch nicht so weit.«
»Also, er meinte, es ist kein Zufall, dass wir so wenig über die Etrusker wissen und ihre Sprache nicht verstehen?«
Jetzt lächelte Sciutto wieder.
»So ist es. Und genau darüber würde ich gern mit Falchi sprechen. Ich würde alles dafür geben.«
Roberto, das ist dein Mann. Der wird wissen, wonach alle suchen. Aber Vorsicht! Du weißt nichts von ihm. Halte dich jetzt noch etwas zurück.
Sciutto sah Robert fragend an.
»Sie sind auf einmal so schweigsam. Worüber denken Sie nach?«
Robert schüttelte verlegen den Kopf.
»Über nichts. Ich muss das alles erst einmal verarbeiten, Dottore.«
Der Arzt hob abwehrend die Hand.
»Oh nein, Roberto, sagen Sie einfach Antonio zu mir. Und sollte ich Sie zugequatscht haben, tut es mir sehr leid.«
Jetzt hob Robert seinerseits den Arm, und es fiel ihm auf, dass er sich die italienische Art zu sprechen angeeignet hatte. Ein Italiener braucht nämlich zum Sprechen nicht nur Mund, Zunge und Stimmbänder, sondern auch beide Arme.
»Um Gottes willen, Antonio, das Gegenteil ist der Fall! Ich würde gern noch mehr von Ihnen zu diesem Thema hören, aber ich fürchte, meine Mutter, die ich hierher begleitet habe, möchte in absehbarer Zeit wieder nach Florenz aufbrechen. Ich würde Sie gern zum Essen einladen. Was halten Sie davon?«
Sciutto strahlte.
»Aber sehr gern, mein lieber Roberto. Ich war lange im Ausland, lebe aber jetzt wieder in Florenz. Wenn Sie möchten, ginge es bei mir am Freitag.«
»Das ist ganz wunderbar, ich werde für Freitagabend einen Tisch bei ›Fabio‹ reservieren.«
Unbemerkt war Donatella Medici hinter Robert getreten und schob ihren Arm unter seinen.
»Ich möchte nicht stören, aber ich würde jetzt gern fahren, Roberto. Aber wie ich sehe, unterhältst du dich gerade sehr angeregt mit Signore Testa.«
Robert schaute verblüfft von Sciutto zu seiner Mutter.
Sciutto bemühte sich, amüsiert auszusehen.
»Scusa, Signora, das muss eine Verwechslung sein. Ich bin Antonio Sciutto. Seit nunmehr fünfzig Jahren.«
Nun war es Donatella, die verblüfft dreinschaute.
»Sciutto? Ich hätte schwören können, dass Sie Lucio Testa sind! Allerdings habe ich Sie seit Jahren
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