Das Geheimnis der Wellen
Kunstkenner – und solche, denen Affären mit Künstlern nachgesagt wurden. Es gab Selbstmörder, zwei Landons haben für die Alliierten spioniert, und mehrere sind in verschiedenen Kriegen ums Leben gekommen. Eine Tänzerin hat Erfolge in Paris gefeiert, eine Landon ist zum Zirkus gegangen.«
»Die gefällt mir besonders.«
»Eine wurde durch Heirat zur Herzogin. Außerdem gab es einen Falschspieler, einen Kavallerieoffizier, der zusam men mit General Custer starb, Helden, Schurken, eine Nonne, zwei Senatoren, Ärzte und Anwälte. Von allem etwas.«
»Kein Wunder, bei der Ahnenkette. Die meisten Menschen wollen oder können ihre Familiengeschichte nicht so weit zurückverfolgen. Und haben auch kein Haus, das schon so lang in Familienbesitz ist.«
»Das stimmt. Aber weißt du, was fehlt?«
»Eine Suffragette, ein Playboy-Häschen, ein Rockstar?«
Er lachte. »Erstere gab es auch, die habe ich nur noch nicht gefunden. Nein, was fehlt, ist Esmeraldas Mitgift. Sie wird nur in Zusammenhang mit der gesunkenen Calypso erwähnt oder wenn über Broome spekuliert wird. Hat er überlebt? Oder war der Überlebende nur ein einfacher Seemann? Auch über die Mitgift gibt es nichts als Spekulationen. Wurde sie gefunden? In den beiden bisher seriösesten Büchern tendiert man allerdings dazu, diese Frage mit Nein zu beantworten.«
»Deswegen müssen die Autoren noch lang nicht recht haben. Ich glaube lieber, dass man sie gefunden hat. So wie in meiner Version der Geschichte vom jüngsten Bruder und der Lehrerin. Darin haben sie es in den Westen geschafft, das Land erobert und Kinder in die Welt gesetzt.«
»Und sind ertrunken, als ihr Wagen beim Überqueren eines Flusses umgekippt ist.«
»Und haben Mais gepflanzt und acht Kinder bekommen. Ganz bestimmt.«
»Wie du meinst.« Auf jeden Fall waren sie alle längst tot. »Was die Mitgift betrifft, frage ich mich schon, welche Informationen Suskind hat, die ich nicht habe. Warum ist er sich so sicher, dass er so viel riskiert und sogar mordet? Oder ist das einfach nur Unsinn?«
»Wie meinst du das?«
»Was, wenn die ganze Sache gar nichts mit dem verloren geglaubten Schatz zu tun hat? Das war nur meine spontane Vermutung, weil jemand im Keller gegraben hat. Aber weshalb sollte er es sonst tun?«
»Ich gebe dir recht, Eli.« Abra musterte ihn forschend. »Weshalb sonst?«
»Keine Ahnung. Bisher habe ich keine andere Erklärung gefunden. Vielleicht spinnt er auch nur.«
»Und das beunruhigt dich.«
»Natürlich. Irre kann man nicht zur Vernunft bringen. Ihre Handlungen lassen sich nicht vorhersehen. Deshalb kann man nichts planen.«
»Das sehe ich anders.«
»Aha.«
»Ich behaupte nicht, dass er normal ist. Jeder, der in der Lage ist, einen kaltblütigen Mord zu begehen, ist gestört. Andererseits war Lindsay mit ihm zusammen.«
»Ja, das schon«, sagte Eli. »Die stand bestimmt nicht auf Gestörte. Nicht auf sichtbar Gestörte. Aber vielen Menschen sieht man ihren wahren Charakter nicht an.«
»Meinst du? Ich glaube schon, dass man uns ansieht, wie wir wirklich sind. Suskind verfolgt sein Ziel mittlerweile seit fast zwei Jahren. Er wird sich an Lindsay rangemacht und sie überredet haben, nach Whiskey Beach zu fahren, obwohl sie gar keine Lust darauf hatte. Er muss also Charme besitzen. Außerdem hat er eine Frau, Kinder, eine Arbeit. Gestört? Ja, aber nicht komplett irre. Jemand, der irre ist, hat sich nicht unter Kontrolle. Er schon.«
»Gestört ist schlimm genug.«
Als sie sich in Boston durch den Verkehr quälten, drehte Eli sich erneut zu ihr um. »Bist du dir wirklich sicher?«
»Ich bleibe bestimmt nicht im Wagen sitzen, Eli, das kannst du vergessen. Ich finde, wir sollten zuerst bei ihr vorbeifahren. Steht dort kein Auto vor der Tür, fahren wir zu ihrer Arbeitsstelle. Ach, herrscht hier ein Trubel! Ich liebe es, ein, zwei Tage in der Stadt zu sein. Aber dann muss ich schleunigst wieder weg.«
»Ich habe lang geglaubt, das zu brauchen. Das hat sich geändert.«
»Whiskey Beach ist ein guter Ort für einen Schriftsteller.«
»Für mich auf jeden Fall.« Er legte eine Hand auf ihre. »Und du tust mir auch gut.«
Sie führte seine Hand an ihre Wange. »Schöner hättest du das nicht sagen können.«
Er folgte den Anweisungen seines Navis, hätte das Haus aber auch so gefunden. Er kannte die Gegend, weil frühere Freunde dort gewohnt hatten.
Dann sah er das hübsche hellgelbe viktorianische Haus mit dem Erker. Eine Limousine stand in der Auffahrt,
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